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Coole Geschichten für clevere Leser

Coole Geschichten für clevere Leser

Titel: Coole Geschichten für clevere Leser
Autoren: Henry Slesar
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ahnungsloser Manager schuldet seinen Kollegen die Meidung jedes Anflugs von Fleiß.
    »Sag mir die Wahrheit«, verlangte Sylvia. »Was hat dir Dr. Miller über mich erzählt? Hat er dir alle meine kleinen Traumas anvertraut?«
    »Nein«, antwortete Werther. »Er sagte nur, du seist ein wunderbarer Mensch, der bisher noch nicht die Chance gehabt hatte, sich selbst zu verwirklichen.«
    Einen Augenblick lang sah es so aus, als würden die Brunnen ihrer Augen heftig überfließen.
    »Irgend etwas stimmt mit mir nicht, Werther. Warum kann ich kein Glück empfinden? Eigentlich müßte ich doch glücklich sein, das weiß ich, doch ich spüre nur eine große Leere in mir. Werther, sag mir, was ich tun soll!«
    »Im Augenblick sollst du die Augen schließen und zu schlafen versuchen«, sagte ihr Mann. »Denk daran, morgen früh kommt Vossberg. Dafür mußt du dich stärken.«
    »Du bist meine Stütze, Werther«, sagte sie und ergriff seine wunderschönen Hände.
    Die Geste rührte ihn. Als sich ihre Augen wieder schlossen, noch immer tränenlos, spürte er Feuchtigkeit unter seinen Lidern. »Arme Sylvia«, flüsterte er.
    Am nächsten Tag schleuderte er im Büro alle sechs Pfeile ins Ziel und griff entschlossen nach dem Telefon.
    »Velvet«, sagte er. »Ich muß mit dir sprechen.«
    »Ich höre.«
    »Nicht am Telefon! Machst du den Shampoo-Job?«
    »Schon fertig. Ich bin jetzt zu Hause, um mir die Haare zu waschen.«
    »Ich komme rüber.«
    Sie mußte sich auf die Couch setzen, während er im Zimmer auf und ab ging.
    »Ich bringe es nicht fertig«, sagte er.
    »Was denn?«
    »Nun reg dich nicht auf.«
    Sie regte sich nicht auf: sie war nur verwirrt.
    »Das heißt nicht, daß ich es mir anders überlegt habe. Ich bringe es nur jetzt nicht über mich, in diesem Augenblick. Es wäre nicht recht.«
    »Was wäre dann recht? Sie zu mmmm?«
    »Ja, sie zu mmmm! Aber nicht gleich, Velvet, ich schaffe das einfach nicht.«
    »Du hast selbst gesagt, daß die Gelegenheit jetzt am günstigsten wäre, weil ihr Psychiater nun mal weiß, daß sie in Selbstmordstimmung ist und somit alles auf sie zurückfällt und nicht etwa auf dich.«
    »Ich weiß selbst, was ich gesagt habe!«
    »Warum sollen wir dann warten? Ich meine, wenn es ihr jetzt schlecht geht, dann würde sie es doch auch jetzt tun?«
    »Aber das ist genau der Grund, warum ich es nicht fertigbringe, Vel. Weil sie so bedrückt ist. Weil die arme Frau in ihrem ganzen Leben keinen wirklich glücklichen Tag erlebt hat. Sie erstickt an ihrem Silberlöffel.«
    »Was für ein Löffel?«
    »Ach, laß nur«, sagte Werther. »Sie hatte eben nichts, worüber sie glücklich sein konnte. Nicht einmal mich.«
    »Aber sie liebt dich doch.«
    »Ich bin ihre Stütze«, sagte Werther und hörte sich in diesem Augenblick wie Sylvia an. »Das ist alles. Aber ich habe sie nicht glücklich gemacht, und das ist nicht recht. Es ist nicht fair, Velvet, ihr das ganze Geld abzuknöpfen, ohne ihr dafür wenigstens etwas zu geben.«
    »Mann, du bist vielleicht ein komischer Kauz«, sagte Velvet nicht ohne Bewunderung.
    »Ich habe mir also etwas überlegt«, sagte Werther. »Ich werde versuchen, sie glücklich zu machen, wirklich glücklich, ehe sie stirbt.«
    »Wie bitte?«
    »Ich weiß nicht, ob ich es schaffe. Ich weiß nicht, ob dieser Dr. Miller eine Ahnung hat, wovon er redet, ob seine Theorie stimmt – daß das Geld sie so verdorben hat, daß sie an einfachen Dingen keine Freude mehr hat.«
    »Was für einfache Sachen?«
    »Du weißt schon – Dinge der Natur. Der Himmel, wenn die Wolken zusammenkommen, um über den Regen zu sprechen …«
    »Oh, Werther, das ist wunderbar!«
    Er hatte den Spruch von einem Kalenderblatt.
    »Der Himmel, wenn man ihn richtig anschaut, und die Art und Weise, wie sich der Ozean bewegt, und das Gefühl des Grases, wenn man sich hineinlegt, nachdem man zu weit gewandert ist …«
    »Ja«, sagte Velvet nickend. »Ja, jetzt weiß ich, was du meinst, Wuschi. Mir machen diese Sachen auch Spaß, aber noch schöner sind sie, wenn man Geld hat.«
    »Nein«, sagte er. »Es geht darum, daß man diese Dinge ohne Geld tut, ohne dafür zu bezahlen, ohne für alles eine Eintrittskarte zu kaufen und das Gefühl zu haben, man müsse seinen Spaß daran haben, nur weil ein Preisschild daran hängt … Verstehst du nicht, was ich meine?«
    »Wuschi, sagst du mir bitte, was du vorhast?«
    »Ich werde mit Sylvia eine Reise machen, eine ganz besondere Reise, ohne Erste-Klasse- Arrangements, ohne
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