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Cool Hunter

Cool Hunter

Titel: Cool Hunter
Autoren: Scott Westerfeld
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ich die Vorstellung, in ein verlassenes Gebäude einzubrechen, alles andere als cool. Ich war zu dem Schluss gekommen, dass wir zur Polizei gehen sollten. Mandy war höchstwahrscheinlich überfallen worden und die Diebe hatten ihr Handy in das verlassene Gebäude geworfen.
    Aber wo war sie ?
    »Weißt du, was das Gute an Alarmanlagen ist?« Jen legte ihren Zeigefinger an die Tür.
    Meine Erleichterung schwand. »An denen gibt es was Gutes?«
    »Klar.« Sie drückte die Tür auf, und das Treppenhaus wurde von einem so ohrenbetäubenden Heulen erfüllt, dass es vermutlich in ganz Chinatown zu hören war. »Sie hören nach einer Weile von selbst wieder auf!«, überbrüllte sie den Alarm und schob sich durch die Tür.
    Ich hielt mir die Ohren zu, guckte die Treppe hinunter und stellte mir vor, wie aus allen Türen genervte Hausbewohner stürzten. Dann folgte ich ihr.
    Das Dach war geteert und mit Silberfarbe gestrichen, damit
die Sommerhitze die Mieter im obersten Stockwerk nicht bei lebendigem Leibe grillte. Wir liefen mit großen Schritten auf den Rand zu, während die Alarmanlage hinter uns so wütend schrillte wie ein gigantischer Teekessel.
    Das Nachbarhaus, in das wir einbrechen wollten (ich korrigiere: in das Jen einbrechen wollte — ich war bloß Mitläufer), war etwas niedriger. Ich schätzte, knappe zwei Meter. Jen setzte sich an die Dachkante, sprang und landete mit einem Knall, der sich ziemlich schmerzhaft anhörte, auf dem verwitterten Teerdach.
    Ich kletterte vorsichtig hinunter, klammerte mich an der Dachkante fest und ließ mich aus so geringer Höhe wie möglich fallen, was nicht hieß, dass ich mir nicht trotzdem den Knöchel verstauchte.
    Ich verzog das Gesicht und humpelte Jen hinterher. Daran war nur der Klient schuld. Hunderte von Turnschuhen und kein einziges Paar darunter, das sich für urbane Hauseinbrüche eignete.
    Die Tür, die in das verlassene Gebäude führte, hing wie eine ausgekugelte Schulter nur noch an einer Angel und knirschte metallisch, als Jen sie aufstieß. Dahinter gähnte ein dunkles Treppenhaus, das nach Staub, altem Müll und etwas widerlich Süßem roch, das mich an den Geruch der verwesten Ratte erinnerte, die wir bei uns zu Hause mal gefunden hatten.
    Jen warf mir über die Schulter einen Blick zu und schien zum allerersten Mal zu zögern.
    Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber in diesem Moment verstummte der Alarm im Nachbarhaus, und die plötzliche Stille traf uns wie ein Hammerschlag.

    Durch das Klingeln in meinen Ohren bildete ich mir ein, vom Nachbardach eine wütende Stimme zu hören.
    »Los«, flüsterte ich.
    Und wir betraten die Dunkelheit.
     
    Wenn ich durch New York schlendere, frage ich mich oft, was wohl hinter all den Fenstern vor sich geht. Besonders hinter den Fensterhöhlen.
    Ich bin schon auf Partys in äußerlich komplett heruntergekommenen Häusern gewesen, die von umtriebigen Hausbesetzern instand gesetzt worden waren. Und jeder weiß, dass Cracksüchtige und Obdachlose in verlassenen Gebäuden hinter den blinden und zugemauerten Fenstern eine unsichtbare Wirklichkeit bewohnen. Es geht sogar das Gerücht, Chinatown hätte eine Geheimregierung und ein uraltes, auf ungeschriebenen Gesetzen und gesellschaftlichen Verpflichtungen beruhendes Rechtssystem, das aus der alten Heimat mitgebracht worden sei. Ich hatte mir immer vorgestellt, diese Regierung würde aus einem der heruntergekommenen Gebäude heraus operieren, dass dort Bürgerversammlungen und Prozesse stattfanden und Bestrafungsaktionen durchgeführt wurden. Hinter diesen leeren, gesichtslosen Fenstern konnte alles Mögliche passieren.
    Aber ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages selbst einen Blick dahinter werfen würde.
     
    Die von der Sonne aufgeheizte Luft war schwer zu atmen. Als wir uns nach unten vortasteten, wirbelten in den nur spärlich hereinfallenden Lichtstrahlen Staubwolken auf und Jens Turnschuhe hinterließen deutliche Fußabdrücke auf den schmutzigen
Stufen, was mich erleichterte. Vielleicht kam ja nie jemand hierher. Vielleicht standen manche Häuser einfach … leer.
    Mit jedem Stockwerk wurde es dunkler.
    Nach drei Etagen blieb Jen stehen. Wir warteten, bis unsere Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, und lauschten in die Stille hinein. Ich hatte von der Alarmanlage immer noch ein Summen in den Ohren, aber soweit ich es beurteilen konnte, war uns niemand gefolgt.
    Wer wäre auch so verrückt gewesen?
    »Hast du ein Feuerzeug?«, fragte Jen
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