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Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres

Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres

Titel: Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres
Autoren: Andrea Camilleri
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auf dem vergrößerten Foto entdeckt hatte. Er brauchte über fünf Minuten, bis er ihn gefunden hatte; der Leuchtturm saß weiter oben als vermutet. Vorsichtshalber bewegte er mehrmals die Hand davor hin und her. Kein ferner Alarm war zu hören, es war keine Lichtschranke, sondern tatsächlich ein ausgeschalteter Leuchtturm. Montalbano wartete, ob nicht doch irgendwas geschah, und ließ sich, da sich nichts rührte, wieder ins Wasser gleiten. Als er halb um den Felsen herumgeschwommen war, stieß er mit den Händen an die Eisenstange, die überraschende Besuche in dem kleinen Hafen verhindern sollte. Er tastete die Stange ab und stellte fest, dass sie in einer senkrechten Metallschiene steckte; der ganze Mechanismus wurde wohl vom Haus her elektrisch bedient.
    Jetzt musste er nur noch hineinschwimmen. Er klammerte sich an der Stange fest, um sich hochzustemmen und darüber zu klettern. Er hatte das linke Bein schon auf der anderen Seite, als es passierte. Es, denn Montalbano begriff nicht, was los war. Der plötzliche Stich in der Brust war so quälend und dauerte so lange an, dass der Commissario, der rittlings auf die Stange fiel, glaubte, jemand hätte mit einem Unterwassergewehr auf ihn geschossen. Und schon während er das dachte, war ihm klar, dass das nicht sein konnte. Er biss sich auf die Lippen, denn am liebsten hätte er verzweifelt geschrien, um sich ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Und gleich darauf war ihm klar, dass der Stich nicht von außen kam, was er insgeheim schon wusste, sondern innen saß, in seinem Körper, wo etwas zerrissen oder kurz vor dem Zerreißen war. Es bereitete ihm große Mühe, ein bisschen Luft zu holen und durch die zusammengekniffenen Lippen wieder auszuatmen. So plötzlich, wie der Schmerz aufgetaucht war, verschwand er auch wieder, und Montalbano fühlte sich matt und benommen, aber Angst empfand er nicht, dafür war er zu sehr erschrocken. Auf dem Hintern rutschte er die Stange entlang, bis er sich an den Felsen lehnen konnte. Jetzt vermochte er sich besser im Gleichgewicht zu halten, und er hätte Zeit und Gelegenheit gehabt, sich von dem beklemmenden Gefühl zu erholen, das ihm diese unglaubliche Schmerzattacke beschert hatte. Doch er fand weder Zeit noch Gelegenheit, denn unerbittlich meldete sich der Schmerz zurück, noch massiver als vorher. Montalbano versuchte vergeblich, sich zusammenzureißen. Da krümmte er den Rücken und fing mit geschlossenen Augen an zu weinen, er weinte vor Schmerz und Trauer und wusste nicht mehr, ob der Geschmack im Mund von den Tränen herrührte oder vom Meerwasser, das ihm von den Haaren tropfte, und während der Schmerz wie ein glühender Bohrer im bloßen Fleisch steckte, flehte er stumm:
    »Ach, Vater, Vater, Vater …«
    Er flehte seinen verstorbenen Vater an und bat ihn im Stillen um die Gnade, dass auf der Terrasse endlich jemand auf ihn aufmerksam werden und sich mit einer Garbe aus der Maschinenpistole seiner erbarmen möge. Aber der Vater erhörte die Bitte nicht, und Montalbano weinte und weinte, bis auch diesmal der Schmerz verschwand, allerdings extrem langsam, als bedauere er es, ihn verlassen zu müssen.
    Doch es verging noch eine ganze Weile, bis er eine Hand oder einen Fuß bewegen konnte, es war, als verweigerten die Glieder die Befehle, die das Gehirn ihnen schickte.
    Waren seine Augen offen oder noch geschlossen? War es dunkler als vorher, oder hatte sich sein Blick getrübt? Montalbano kapitulierte. Er musste seine Lage akzeptieren.
    Es war eine Scheißidee gewesen herzukommen, Schwierigkeiten waren aufgetreten, und jetzt musste er die Konsequenzen seines Leichtsinns tragen. Die einzige Möglichkeit bestand darin, die Pausen zwischen zwei Schmerzanfällen zu nutzen und sich wieder ins Wasser zu lassen, den Felsen zu umrunden und langsam ans Ufer zu schwimmen. Weiterzumachen war Schwachsinn, es gab nur eines: umkehren.
    Er musste sich lediglich ins Wasser lassen, knapp um die Boje herumschwimmen .
    Warum hatte er »Boje« und nicht »Felsen« gedacht? Da tauchte in seinem Kopf die Szene auf, die er im Fernsehen gesehen hatte, die stolze Weigerung des Segelbootes, das, anstatt die Boje zu umrunden und wieder zurückzufahren, stur geradeaus fuhr, bis es am Boot der Regattaleitung zerschellte . Jetzt wusste er, dass ihm die Art, wie er gestrickt war, keine Wahl ließ. Er hätte nie umkehren können.
    Eine halbe Stunde blieb er, an den Felsen gelehnt, reglos sitzen und lauschte in Erwartung des geringsten Anzeichens
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