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Commissaire-Llob 1 - Morituri

Commissaire-Llob 1 - Morituri

Titel: Commissaire-Llob 1 - Morituri
Autoren: Yasmina Khadra
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blinzelten nach dem kleinsten Lichtstrahl, um uns von ihm aufmuntern zu lassen.
    Doch nachdem der Kokon aufgeplatzt war und die Schwüre von einst sich in Feuer und Rauch aufgelöst hatten, ging die Sonne in unserem Gedächtnis unter. Es wurde Abend in den Herzen, ein Abend, den weder Mond noch Sterne erhellten, der keine Kühnheit, kein zärtliches Verlangen kannte. Die Dämmerung wob ihr Spinnennetz und fing unsere Gebete ab, ohne daß es irgendwen ernstlich beunruhigt hätte.
     
     
    Ich bin ins Büro gefahren, um Hunderte von Fotos der Terrorismusopfer zusammenzusuchen. Lino wollte wissen, ob das für mein nächstes Buch sei. Ich gab keine Antwort.
    Dann bin ich in die Rue des Pyramides gefahren. Ghoul Malek war nicht zu Hause. Ich schlug ein Fenster ein und stieg in seinen Palast.
    Zwei volle Stunden habe ich gebraucht, um die Fotos an Wände, Bilder, Vorhänge, Teppiche, Stühle und Nippesfiguren zu heften. Unerträgliche Fotos erstochener Kinder, vergewaltigter Frauen, enthaupteter Greise, exhumierter Mütter, zerstückelter Soldaten, armer Prominenter, die zu Tode gefoltert worden waren. Nachdem ich die ganze schamlose Fülle der Einrichtung neu dekoriert hatte, streckte ich mich auf einem Diwan aus und starrte die Decke an, als wollte ich sie zum Einsturz bringen.
    Die Nacht ist wie eine Maske heraufgezogen. Ich habe kein Licht angemacht und weitergeraucht.
    Da fahrt ein Wagen in den Hof, der Motor verstummt. Schritte kommen die Treppe herauf. Ein Klicken von Schlüsseln, die Tür geht auf und im Rahmen erscheint die elefantengleiche Silhouette von Ghoul Malek.
    »Cherif!« ruft er.
    Der Luster leuchtet auf.
    »Was ist das für ein Saustall hier!« schreit der Nabob fassungslos.
    »Das ist Ihr Meisterwerk, Monsieur Ghoul.«
    Einige Sekunden lang ist er sprachlos, als er mich hinter sich entdeckt. Dann bellt er: »Wer hat Ihnen erlaubt, hier hereinzukommen? Wo ist Cherif?«
    »Sie meinen Ihren Moby Dick? Der ist ein für allemal untergegangen.«
    Sein Gesicht färbt sich feuerrot, seine Hängebacken zittern.
    »Wie konnten Sie es wagen, bei mir einzudringen?«
    »Das frage ich mich auch.«
    »Haben Sie den Verstand verloren, Kommissar?«
    »Nun, sagen wir, ich habe viele Freunde verloren.«
    Es ist ein wahres Vergnügen zu sehen, wie der Adamsapfel in seinem krebsroten Hals auf- und abhüpft. Gleich darauf hat er sich wieder unter Kontrolle und geht zum Telefon.
    »Lohnt sich nicht, Monsieur Ghoul. Wir sind vom Rest des Landes völlig abgeschnitten. Wir sind nur zu viert: der Teufel, Gott, Sie und ich.«
    »Sie machen sich lächerlich, Kommissar. Sammeln Sie Ihren Ramsch wieder ein und verschwinden Sie. Ich hatte einen harten Tag. Ich will allein sein.«
    Er geht.
    »Ghoul!« Mein Schrei fährt durch ihn hindurch. »Ich weiß alles.«
    Er wiegt den Kopf, kommt zurück, lehnt sich gegen einen Sessel und mustert mich verächtlich:
    »Was Sie nicht wissen, Kommissar, ist, welche Grube Sie sich gerade graben. Kleine Versager Ihres Kalibers stellen sich nicht gegen mich, sie liefern sich mir aus … Sie sind gekommen, um mich zu verhaften? Das glauben Sie doch selber nicht. Einen Ghoul Malek verhaftet man nicht … Was hoffen Sie mit Ihren idiotischen Bildchen zu erreichen? Mein Gewissen? Mich zu erweichen? Schuldgefühle bei mir zu wecken …? Sie Idiot. Sie haben gar nichts verstanden. Seit Anbeginn der Welt gehorcht die Gesellschaft einer Drei-Stufen-Dynamik. Die einen regieren. Die anderen vernichten. Die dritten wachen darüber. Ein Staatschef braucht keine grauen Zellen, seine Krone reicht ihm. Ihnen, Kommissar, genügt voll und ganz Ihr Käppi. Begnügen Sie sich damit, die Ohren steif zu halten. Alles andere geht Sie nichts an. Die soziale Hierarchie wird von einer Energie gesteuert, die sich von der Regierung und ihren Untertanen nicht lenken läßt. Dieser Energie sind Skrupel fremd. Von Tabus hat sie nie etwas gehört. Was sie vorantreibt, ist einzig der Wunsch, der Nation in den Hintern zu treten, damit diese nicht in ihrer eigenen Scheiße einschläft.«
    Ich weiß nicht, was plötzlich über mich kommt. Die Wut, die mir zuvor geholfen hatte, die Angst des Wartens zu überstehen, die Gedanken und Worte, die mich auf dem Diwan noch angestachelt hatten, sind plötzlich verpufft, wie fortgeblasen, und lassen in mir eine große Leere zurück. Der Dreckskerl macht mir Angst. Sein Blick schüchtert mich ein, am liebsten würde ich mich unter die Erde verkriechen. Es fehlte nicht viel und ich nähme, sobald
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