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Commissaire-Llob 1 - Morituri

Commissaire-Llob 1 - Morituri

Titel: Commissaire-Llob 1 - Morituri
Autoren: Yasmina Khadra
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Revolutionen hätte bestreiten können. Doch dann fingen sie an, meine Kollegen abzuknallen, und die Welt um mich herum entvölkerte sich schlagartig. Auf der Straße tut man nun so, als kenne man mich nicht. Sich in der Nähe eines Bullen aufzuhalten heißt, sich verdammt in Gefahr zu bringen. Vor allem, wenn es von überall her knallt. Niemand wagt mehr, mich mit der leisesten Geste zu grüßen, nicht einmal mit einem verstohlenen Blick. Niemand erinnert sich mehr an die kleinen Gefälligkeiten, die ich ihm früher einmal erwiesen, oder an das Wespennest, aus dem ich ihn einst herausgeholt habe. Im Land der vier Winde drehen sich die Wetterfahnen im Kreis.
    Von nun an bin ich »der Bulle« und damit basta. Man erwartet von mir, daß ich die bevorzugte Zielscheibe abgebe und ansonsten die Klappe halte. Deshalb empfängt mich der Parkwächter mit Trauermiene und begleitet mich zu meinem Auto wie zu einem Begräbnis. Keine hektische Verbeugung mehr, kein Tremolo mehr in seinem »Guten-Tag-Herr-Kommissar«, keine an Scheinheiligkeit grenzende Untertänigkeit. Mein Parkwächter zeigt fast so etwas wie Herablassung. Sicher, er ist nichts, aber er riskiert auch nichts. In gewissem Sinn rächt er sich an der sozialen Hierarchie.
    Ich komme mit einer Stunde Verspätung in der Zentrale an. Sicherheit verpflichtet. Es wurde uns eindringlich nahegelegt, unsere Gewohnheiten täglich zu ändern.
    Der Amtsdiener überfällt mich im selben Moment, als ich das Gebäude betrete. »Der Chef verlangt nach Ihnen.«
    »Sag ihm, daß man mich gerade umgebracht hat.«
    Ich schiebe ihn genervt zur Seite und rausche an ihm vorbei in mein Büro.
    Lino, mein Leutnant, ist schon da. Früher war er Weltmeister im Blaumachen. Andauernd hinter seinen kleinen Intrigen, seinen Bestechungen und seinen Huren her. Er hatte begriffen, daß Wunder im Sultanat der Cliquen und Klüngel eine Frage von Verhandlungen sind. Er verdiente nur ein paar Groschen, genoß keinerlei Vergünstigungen und nicht die geringste Sicherheit. Um an eine Wohnung heranzukommen, hätte er ein besserer Schleimer sein müssen. Und um eine Familie zu gründen, hätte er nicht nur einen harten Schwanz, sondern auch spitze Ellenbogen gebraucht. So wurstelte sich Lino durch den Dschungel unserer Gesellschaft.
    In einem Land, in dem man früh aufstehen muß, um einen schäbigen Kühlschrank zu ergattern, darf man von der Wache nicht erwarten, daß sie abends lange aufbleibt. Deshalb habe ich bei seinen Geschäften immer mitleidig ein Auge zugedrückt.
    Aber mit einem Mal wurde Lino kreuzbrav. Er ist jetzt schon vor dem Amtsdiener im Büro. Was ganz normal ist, immerhin verbringt er dort die Nacht. Zu sich nach Hause, nach Bab-el-Oued, geht er nicht mehr, seit ein Trio von Bärtigen an seiner Halsschlagader Maß genommen hat, um ein passendes Messer für ihn auszusuchen.
    Jetzt ist er traumatisiert, der Leutnant. Traut sich kaum in die Nähe des Fensters. Am Abend, wenn er das Licht zum Schlafengehen löscht, hat er dermaßen Schiß, daß man das Klappern seiner Gallensteine hören könnte.
    Da sitzt er also hinter seiner Schreibmaschine, mit tiefen Schatten unter den Augen seines Pierrotgesichts. An den Fingern hat er schon keine Nägel mehr, aus seinem Blick ist jeder Ausdruck gewichen, der ganze Kerl sieht zum Steinerweichen mitleiderregend aus.
    »Weißt du, was den Burschen passiert, die sich zu viele Sorgen machen, Lino? Sie bekommen glatzköpfige Kinder.«
    »Ich weiß nicht einmal, ob ich morgen noch von dieser Welt bin.«
    »Bade dich nur in deinem Opferlamm-Pessimismus. Wen rührt das heute noch … Hast du den Bericht gelesen?«
    »Ja.«
    »Bilanz?«
    »Zwei Schulen, eine Fabrik, eine Brücke, ein Stadtpark und dreiundvierzig Strommasten zerstört.«
    »Menschliche Verluste?«
    »Drei Polizisten, ein Soldat auf Urlaub, ein Lehrer und vier Feuerwehrleute.«
    »Warum die Feuerwehrleute?«
    »Die Leiche, die sie gerade wegbringen wollten, war vermint.«
    »Nun ja …«
    Ich krame eine Akte hervor, die seit Urzeiten in den Tiefen der Schublade verschimmelt. Ein paar lose Blätter, das Photo eines Spitzbärtigen in afghanischer Soutane und eine Hexenjagd, die im schlimmsten Fall nie mehr aufhören wird.
    Ich betrachte den Guru auf dem Photo: achtundzwanzig Jahre. Nie in der Schule gewesen. Immer arbeitslos. Messianische Reisen quer durch Asien, reißerische Predigten und ein unversöhnlicher Haß auf die ganze Welt. Und ausgerechnet der spielt sich als Weltverbesserer auf:
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