Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commissaire-Llob 1 - Morituri

Commissaire-Llob 1 - Morituri

Titel: Commissaire-Llob 1 - Morituri
Autoren: Yasmina Khadra
Vom Netzwerk:
»He, was willst du? Die Leute sind nicht alle gleich.«
     
    20
     
    Lino schnitzt mit der Spitze seines Taschenmessers Schnörkel in den Tisch. Seine entblößten Zehen verpesten das bißchen frische Luft, das der Gestank des Wcs bis zu uns durchläßt. In der schwülen Stille meines Büros ist nur das Knirschen der Klinge im Holz zu hören.
    Zwischendurch pustet der Leutnant in heller Freude über sein Talent immer wieder über seine Kalligraphien hinweg und verkündet: »Das stell ich später im Museum aus.«
    »Und deine Socken gleich dazu.«
    Wir warten auf den Anruf von Dine. Wenn ich schon abgehört werde, warum nicht gleich davon profitieren? Der Habibo hat ausgepackt. Er wollte ohne seinen Anwalt nichts sagen und hat verlangt, daß wir ihn zum Bezirkskommissariat bringen. Da sind wir mit ihm zu einem abgelegenen Bauernhof gefahren und haben ihn die ganze Nacht lang durchgewalkt.
    Der Habibo heißt Hamma Llyl. Er arbeitet in einer Schraubenfabrik in Annaba und hat das Feuer am Tag nach dem aufsehenerregenden Ausbruch der neunhundert Fundamentalisten aus Lambese gelegt. Nach einigen kleinen Scharmützeln im Maquis hat er sich auf den städtischen Terrorismus spezialisiert. Achtzehn Morde in einem Jahr. Sein Ruf ließ ihn zu einem der begehrtesten Killer im Land aufsteigen. Seit zwei Jahren pendelt er zwischen Algier und Constantine hin und her, mit einer schallgedämpften 9-mm-Pistole im Kulturbeutel. Er jagt nur Großwild: Gewerkschafter, hohe Funktionäre, Offiziere, Verleger, lästige Emire.
    Seine Auftraggeber kennt er nie. Selbst wenn sie ihm erlauben sollten, bis zu ihnen vorzudringen, würde er die Einladung ablehnen. Eine ganze Reihe von Killern wurde aufgrund dieses »Privilegs« schon ausgeschaltet. Die Auftraggeber zahlen gut. Aber es sind Medusen. Den Unvorsichtigen, der seine Augen auf sie richtet, verwandeln sie zu (Grab)Stein.
    Als das Telefon klingelt, schneidet sich Lino fast in den Daumen. Ich deute ihm, sich zu gedulden.
    Nach dem sechsten Läuten nimmt er ab: »Zentrale, ich höre … Ach, Sie sind es, Kommissar Dine … Bedaure, er ist in einer Besprechung. Er hat mir aufgetragen, ihn unter keinen Umständen zu stören … Wenn Sie darauf bestehen, werde ich schauen, was ich machen kann. Bleiben Sie dran …«
    Er legt den Hörer hin, bewegt einen Stuhl, gibt vor hinauszugehen. Ich warte drei Minuten, stampfe mit den Füßen auf den Boden, greife nach dem Hörer.
    »Ja, Dine …? Hör mal, ruf mich doch in einer knappen Stunde an. Ich habe enorm …«
    »Es ist ungeheuer wichtig«, tönt es aus der Leitung.
    »Hast du eine Fliege in deinem Glas gefunden?«
    »Ich habe den Kerl erwischt, der dich bedroht hat. Er ist ein professioneller Killer. Hamma Llyl ist sein Name. Er hat Salah Doba umgebracht.«
    »Bist du sicher?«
    »Llob, ich bitte dich, verschieb deine verdammte Sitzung. Ich sage dir, das hier geht vor. Der Kerl verblutet gerade in meinem Kofferraum. Wenn du ihn mit eigenen Ohren hören willst, bevor er krepiert, beweg dich schleunigst her.«
    »Bring ihn zu mir.«
    »Kommt nicht in Frage. Zu viele Spitzel. Komm in einer halben Stunde zu Khelifa.«
    »Von wo genau rufst du an?«
    »Von einer Telefonzelle, zwei Kilometer vor Sidi Moh.«
    Ich tu so, als würde ich überlegen. »Nicht bei Khelifa. Kennst du die Rue Gard …? Nein, hör zu, erinnerst du dich an den verlassenen Bauernhof, in der Nähe des Salzsees, bei Douar Nayem?«
    »Ich weiß, wo das ist. Gute Idee. Treffen wir uns dort in einer Stunde … Noch etwas, Llob. Komm allein. Ich betone: allein. Einer zuviel und der Himmel fällt uns auf den Kopf.«
     
     
    Ich schaue so oft in den Rückspiegel, daß mir bald die Augen steckenbleiben. Die Stadt verschwindet hinter einer Wand aus glühender Hitze. Die Autobahn ist dicht befahren. Ich fahre ganz links und beobachte die Autos, die mich einholen und in wildem Zickzack an mir vorüberfahren.
    Douar Nayem ist so groß wie ein Taschentuch. Sechs morsche Hütten, ein verfallener Innenhof und als Waschhaus ein Becken, in dem es vor Ungeziefer nur so wimmelt. Die Piste, die dorthin führt, ist mehr eine Wagenspur durchs Gestrüpp. Aus einer Hecke, hinter der sich ein paar ärmliche Behausungen ducken, streckt der Feigenkaktus sein stachliges Haupt empor. Kein einziger Hirte ist zu sehen. Das Dorf ist verlassen. Die kleinen Leute sind vor den Mißhandlungen der bewaffneten islamistischen Gruppen geflohen.
    Der Hof liegt im Abstand von etwa hundert Metern hinter einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher