Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Colorado Kid

Colorado Kid

Titel: Colorado Kid
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
du am Anfang auch übernachtet, als du noch neu hier warst, stimmt’s?«
    »Ja«, bestätigte Stephanie. Im vergangenen Monat war sie in einer Pension untergekommen, wollte sich aber im Oktober nach etwas Festem umsehen. Das hieß, falls diese zwei alten Vögel sie behalten wollten.
    Wovon sie ausging. Sie nahm an, dass dieses Gespräch auch irgendwie davon handelte.
    »Am nächsten Morgen frühstückten wir drei gemeinsam«, berichtete Dave, »und wie die meisten Menschen, die nichts Böses getan und nicht viel Erfahrung im Umgang mit Zeitungen haben, nahm sie kein Blatt vor den Mund. Sie hatte keine Bedenken, dass irgendetwas von dem, was sie erzählte, später auf Seite eins auftauchen könnte.« Er hielt inne. »Natürlich haben wir nur sehr wenig gebracht. Aber es war eh nie die Art von Story, die als Aufmacher taugt, wenn erst mal die Fakten berichtet sind: ›Toter an Hammock Beach gefunden, Coroner sieht keinen Hinweis auf Verbrechen.‹ Und das war damals eh schon alles kalter Kaffee.«
    »Kein Seil zum Festhalten«, warf Stephanie ein.
    »Genau!«, rief Dave und lachte dann, bis er husten musste. Er räusperte sich und wischte sich mit einem großen Paisley-Taschentuch, das er aus der Gesäßtasche seiner Hose zog, die Tränen aus den Augen.
    »Was hat sie euch gesagt?«, fragte Stephanie.
    »Was konnte sie uns sagen?«, entgegnete Vince. »In erster Linie stellte sie Fragen. Ich fragte sie lediglich, ob der Tscherwonetz ein Talisman oder ein Souvenir oder sonst was sei.« Er schnaubte verächtlich. »Ein toller Journalist war ich damals.«
    »Der was?«, fragte Stephanie kopfschüttelnd.
    »Die russische Münze in seiner Tasche, beim übrigen Kleingeld«, sagte Vince. »Das war ein Tscherwonetz, ein Zehn-Rubel-Stück. Ich fragte Aria, ob ihr Mann ihn als Glücksbringer oder so was bei sich trüge. Sie hatte keine Ahnung. Jim hätte nie etwas mit Russland zu tun gehabt, sie hätten sich mal den James-Bond-Film Liebesgrüße aus Moskau ausgeliehen, das war aber auch schon alles.«
    »Er könnte die Münze am Strand gefunden haben«, sagte Stephanie nachdenklich. »Da liegt alles Mögliche herum.« Sie selbst hatte einmal bei einem Spaziergang an Little Hay Beach, knapp drei Kilometer von Hammock entfernt, einen Damenschuh mit hohem Absatz entdeckt, fremdartig weichgespült vom Meer.
    »Kann schon sein, ah jo«, stimmte Vince zu. Er blickte Stephanie an, seine Augen blitzten in den tiefen Höhlen. »Willst du wissen, an was ich mich am besten erinnern kann, an dem Morgen nach ihrem Gespräch mit Cathcart drüben in Tinnock?«
    »Ja, sicher.«
    »Wie erholt sie aussah. Und an ihren gesunden Appetit, als wir zusammen frühstückten.«
    »Das stimmt«, bestätigte Dave. »Man sagt ja immer, dass ein zum Tode Verurteilter besonders viel isst, aber ich glaube, dass keiner mit so viel Appetit isst wie ein Mensch, der in letzter Minute begnadigt wurde. Und so erging es ihr auf gewisse Weise. Sie mag nicht gewusst haben, was er bei uns zu suchen hatte oder was ihm hier widerfuhr, und ihr wurde wohl klar, dass sie es vielleicht niemals erfahren würde …«
    »Das war ihr klar«, stimmte Vince zu. »Das sagte sie mir, als ich sie zurück zum Flughafen brachte.«
    »Aber eins wusste sie, und das war das Wichtigste: Er war tot. Tief im Innern mochte sie das die ganze Zeit geahnt haben, aber vom Kopf her brauchte sie einen Beweis, um weitermachen zu können.«
    »Ganz zu schweigen davon, dass sie die verflixte Versicherung überzeugen musste«, ergänzte Dave.
    »Hat sie das Geld wenigstens bekommen?«, wollte Stephanie wissen. 
    Dave grinste. »Na sicher. Die ließen sich Zeit – Versicherungen sind ganz schnell dabei, wenn sie einem was andrehen wollen, aber wenn man Ansprüche geltend machen will, schalten sie plötzlich auf Schneckentempo. Aber doch, irgendwann hat sie ihr Geld bekommen. Aria schrieb uns einen Brief, in dem sie sich für alles bedankte, was wir getan hätten. Ohne uns, schrieb sie, hätte sie noch immer keine Sicherheit und die Versicherung würde behaupten, James Cogan könne genauso gut in Brooklyn oder Tangiers leben.«
    »Was für Fragen hat sie euch gestellt?«
    »Die zu erwarten waren«, sagte Vince. »Zuerst wollte sie wissen, wo er hinging, als er von der Fähre stieg. Wir konnten es ihr nicht sagen. Das haben wir auch viele Leute gefragt, stimmt’s, Dave?«
    Dave Bowie nickte.
    »Aber keiner konnte sich erinnern, ihn gesehen zu haben«, fuhr Vince fort. »Natürlich war es fast
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher