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Cocoon, Band 01

Cocoon, Band 01

Titel: Cocoon, Band 01
Autoren: G Albin
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nicht, was uns auf der Erdoberfläche erwartet. Wenn Loricel recht hat und dort nichts mehr übrig ist, habe ich uns in den Tod geschickt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich bereit bin, mich dieser Möglichkeit zu stellen, aber die Vorstellung, langsam zu sterben, während wir durch die Fäden der Zeit stürzen, gefällt mir noch weniger.
    Falls es Jost und Erik interessiert, was ich da mache, fragen sie jedenfalls nicht. Und selbst wenn, würde ich sie nicht hören. Nur die Bewegungen ihrer Münder würde ich sehen, allerdings rühren sich ihre Lippen nicht. Im Moment scheinen sie erpicht darauf zu sein, mich an den Fäden herumfuhrwerken zu lassen und sich gegenseitig zu ignorieren. Allzu begeistert sind sie über ihre Wiedervereinigung wohl nicht – von Bruderliebe ist jedenfalls nichts zu sehen. Doch es bleibt keine Zeit für Ablenkungen. Deshalb schiebe ich diese Überlegungen vorerst beiseite und bemühe mich, einen neuen Spalt zu öffnen. Als er groß genug ist, um den Arm hindurchzuschieben, kommt mir der Gedanke, dass es vielleicht ganz schlau wäre, erst den Kopf durchzustecken und nachzuschauen, wo ich mich da hineinmanövriert habe. Schließlich möchte ich uns nicht mitten im Meer abladen.
    Schwach vernehme ich den Protestschrei von einem der Jungs, als ich meinen Kopf zwischen den verschobenen Fäden hindurchzwänge. Es ist dunkel. Ein großer, voller Mond scheint bleich auf schattenhafte Umrisse um mich her. Ich schwebe über einer von Häusern gesäumten Straße. Das Licht prallt an der Schwärze ab und verschwimmt in der Ferne zu glitzerndem Gold. Die Szenerie ist so lautlos, dass sie mir unwirklich vorkommt. Auch eine Illusion. Doch wie um mir zu widersprechen, regt sich eine sanfte Brise, streicht mir übers Gesicht und verwirbelt mein Haar. Der Anblick verändert sich im Großen und Ganzen nicht, doch bei genauerem Hinsehen bemerke ich, dass der Wind Müll über die Straße treibt. Und ich höre, wie Pappe über Beton schleift.
    Die gute Neuigkeit ist, dass wir nicht mitten über dem Meer sind. Aber die schlechte Neuigkeit ist, dass ich keine Ahnung habe, wo wir sind oder was uns in dieser Welt erwartet.
    Die Erde.
    Sie ist trostloser, als ich erwartet hatte, obwohl mir doch eigentlich klar war, dass hier niemand mehr lebt. Aber immerhin können wir uns hier verstecken, und wenn wir Glück haben, finden wir sogar etwas zu essen. Ich dachte wohl irgendwie, dass andere vor uns den Weg herausgefunden haben, aber wie hätten sie das ohne Stickmeisterin schaffen sollen?
    Ohne mich?
    Wie dem auch sei, dies ist unsere beste Chance. Zwar könnte ich versuchen, uns erneut einen Spalt nach Arras zu öffnen, aber das wäre noch viel gefährlicher. Loricel hat uns bei der Flucht geholfen, doch wenn wir wieder zurückkämen, wäre sie nicht mehr in der Lage, uns zu retten. Ich kann noch nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob sie noch lebt, und sie werden im Gewebe nach unseren Identifikationsnummern Ausschau halten. Nein, eine Rückkehr wäre zu gefährlich, also haben wir keine andere Wahl. Ich ziehe den Kopf zurück ins Gewebe und arbeite schneller und selbstbewusster, jetzt, wo ich weiß, dass uns keine Gefahr droht, wenn die Öffnung erst einmal groß genug ist. Einen Blick auf Jost oder Erik spare ich mir, mit den beiden muss ich mich später befassen. Im Augenblick habe ich eine Aufgabe zu erledigen.
    Hier im Rohgeflecht ist die Zeit gröber, und meine ohnehin schon wunden Finger werden trotz der künstlichen Hornhaut, die Maela mir verpasst hat, bald in Mitleidenschaft gezogen. Da jedoch die Leben von zwei weiteren Menschen davon abhängen und weil ich dringend auf die andere Seite muss, um herauszufinden, was ich für Sebrina und Amie tun kann, ignoriere ich die Schmerzen. Jede Sekunde, die wir auf der Oberfläche verschwenden, sind sie in Gefahr, und anders als im Konvent läuft die Zeit in beiden Welten weiter, während ich hier webe.
    Als ich endlich eine Lücke geöffnet habe, die groß genug ist, bedeute ich meinen Gefährten mit einer übertriebenen Kopfbewegung, dass wir hindurchmüssen. Josts Mund bewegt sich, und ich sehe, wie er besorgt die Augen zusammenkneift. Ich schüttle den Kopf, um ihm deutlich zu machen, dass ich ihn nicht höre, und bedeute ihm mit der ausgestreckten Hand, hindurchzutreten. Doch seine Lippen formen ein Wort, das ich sehr leicht lesen kann: Nein. Na schön. Früher oder später wird er schon wollen. Wenn ich ihn allerdings loslasse, wird er weiterfallen und diese
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