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Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Titel: Cleverly, Barbara - Die List des Tigers
Autoren: Unbekannter Autor
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wusste doch nicht, dass ich komme, oder?«
    »Mein lieber Freund«, erklärte Edgar, »Sie haben Udai nicht im Geringsten verstanden, wenn Sie glauben, er wisse nicht, wer kommt, wer geht, wen er zu erwarten hat, wen er nicht zu erwarten hat und was Sie in Ihren Koffer gepackt haben!«
    Einen bestürzten Augenblick sah Joe quasi visionär die dunkle Mündung der kurzläufigen Waffe, die sich zwischen seinen Hemden verbarg, und er hoffte, dass er daran gedacht hatte, seinen Koffer abzuschließen. Joes Blick folgte besorgt dem Koffer, als dieser mit indischer Effizienz zusammen mit dem anderen Gepäck aus der Hauptbahnlinie in die wartende Schmalspurbahn umgeladen wurde. Kurz bedauerte er, die Waffe nicht in seinen Gürtel gesteckt zu haben, trotz der Unannehmlichkeit. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den offenen Rolls-Royce Phantom, der auf sie zugeschossen kam, und er entdeckte die beiden Personen auf den Vordersitzen. Er sah noch einmal hin.
    Auf dem Beifahrersitz befand sich ein Inder, der eine maßgeschneiderte, wenn auch staubige Chauffeursuniform trug. Er war ohne Mütze und zerzaust und hielt sich verkrampft an einem ledernen Halteriemen fest, während der Wagen abrupt vor ihren Füßen zum Stehen kam. Am Steuer saß eine schlanke Gestalt in Khakihosen und weißem Hemd. Sie zog die Handbremse an und sprang heraus, um sie zu begrüßen. Als sie die geborgte Chauffeursmütze abnahm, ergoss sich ein glänzender Sturzbach aus hellem Haar. Die Fahrerin klopfte mit der Mütze gegen ihr Knie, um die dicke Staubschicht abzuschütteln.
    »Edgar. Wie schön, Sie wiederzusehen.« Ihr Tonfall war formell, nicht freundlich, und ihre Aufmerksamkeit wanderte sehr viel schneller, als es Edgar gegenüber höflich war, zu Joe.
    »Ist das Ihr englischer Polizist? Die Cops sind Ihnen also endlich auf die Schliche gekommen und haben Sie in Gewahrsam genommen?« Sie starrte Joe mit unverhohlener Neugier an, ihr Gesichtsausdruck war nun warm und spielerisch. »Tja, Sie Glücklicher! Meine Güte, wenn ich nicht schon vergeben wäre, würde ich meine Angel auswerfen und Sie einholen, Mister!«
    »Hallo Madeleine«, sagte Edgar gezwungen, »darf ich Ihnen meinen Freund und Kollegen Commander Joseph Sandilands vorstellen? Joe wurde von Scotland Yard zeitweilig nach Indien versetzt. Joe, das ist Madeleine Mercer - ehemals -, jetzt die erste Frau von Udais zweitem Sohn Prithvi. Was zur Hölle ha-ben Sie sich dabei gedacht, Madeleine? Versuchen Sie immer noch, alle zu befremden, zu nerven und aus der Fassung zu bringen? Udai wird dieses Possenspiel nicht gefallen!« Er zeigte mit der Hand weit ausholend auf die Umstehenden, die sich um den Rolls geschart hatten. »Sie haben eine ordentliche Menge zusammengetrommelt ... Wollen Sie nicht mit Ihrer Mütze die Runde machen?« Joe fühlte sich angesichts Edgars sarkastischen Tonfalls unwohl und erwartete, dass Madeleine es ihm mit gleicher Münze heimzahlen würde, aber sie ignorierte die höhnische Bemerkung, lächelte niedlich und streckte ihre heiße, klebrige Hand aus, um die von Joe zu schütteln.
    »Hallo Joe, und herzlich willkommen in Ranipur. Ich bin Maddy. Ach ja, ich bin nicht die erste Frau -ich bin die einzige Frau.«
    Zwischen den beiden herrschte eindeutig weder Respekt noch Zuneigung, und Joe konnte das gut verstehen. Loyal wie Edgar gegenüber dem Herrscher war, teilte er dessen Enttäuschung über die seltsame Brautwahl des Thronerben. Joe vermutete, dass Edgar darüber hinaus ein innewohnendes Misstrauen gegenüber jeder Frau besaß, die seiner Vorstellung von ihrer Rolle in der Gesellschaft nicht entsprach, sei es in der indischen oder britischen.
    Aber Maddy war ein Freigeist, entschied Joe, und das gefiel ihm sofort. Sie war hübsch, sogar schön. Der erste Eindruck von Jugend und Unschuld, den das blonde Haar und die weit auseinander stehenden, braunen Augen vermittelten, wurde auf den zweiten Blick durch die dichten, geraden Augenbrauen, den wissenden Gesichtsausdruck und das entschlossene Kinn Lügen gestraft. Er schätzte sie auf Mitte zwanzig, ein oder zwei Jahre jünger als er selbst.
    »Ich habe noch nie einen Rolls gefahren«, meinte Joe im Bemühen um Ablenkung von Edgars und Madeleines Zurschaustellung ihrer gegenseitigen Ablehnung.
    »Das können wir auf der Rückfahrt gern ändern«, meinte Madeleine leichthin.
    »Danke, aber es wäre mir unangenehm, ihn um einen Pepulbaum zu wickeln«, erwiderte Joe. »Habe nicht viel Erfahrung mit Automobilen.
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