Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Cleo

Titel: Cleo
Autoren: H Brown
Vom Netzwerk:
glücklich wie ihr traurigstes Kind. In diesen letzten Wochen des Jahres 1982 ging es mir also ganz gut. Ich hatte zwei wunderbare Jungen und war schon seit Monaten nicht mehr mit einem rasch übers Nachthemd geworfenen Mantel im Supermarkt gewesen.
    Wir lebten in Wellington, das für zwei Dinge bekannt war – schlechtes Wetter und Erdbeben. Nach langer Suchehatten wir es geschafft, ein Haus zu finden, das das Potenzial hatte, uns beidem auszusetzen: ein Bungalow, der an einem gewundenen Weg auf halber Höhe einer Klippe direkt über einer Verwerfungslinie stand.
    Kleinere Beben waren so häufig, dass wir es kaum noch registrierten, wenn wieder einmal die Wände zitterten und die Teller klapperten. Allerdings hieß es, in der Gegend von Wellington sei längst wieder ein großes Erdbeben fällig, wie das aus dem Jahr 1855, als ganze Landstriche im Meer verschwanden und an anderer Stelle wieder auftauchten.
    Unser Häuschen klammerte sich jedenfalls an den Hügel, als rechnete es damit, dass etwas Schreckliches passieren würde. Mit seinem Giebeldach, der dunklen Holzverschalung und den Fensterläden hatte es etwas Märchenhaftes. Die Mischung aus falschem Tudor und Bauhausstil war allerdings nicht lässig heruntergekommen, sondern nur heruntergekommen. Meine Bemühungen, einen Bauerngarten anzulegen, hatten sich in zwei traurigen Reihen von Vergissmeinnicht erschöpft, die den Weg zur Haustür säumten.
    So idyllisch das Haus war, wer auch immer es erbaut hatte, musste an eine Familie von Bergziegen gedacht haben, als er sich an die Arbeit machte. Es gab keine Garage, nicht einmal einen Stellplatz vor dem Haus. Man konnte es nur erreichen, indem man das Auto an der Straße stehen ließ, die weit oberhalb unseres Dachfirstes vorbeiführte, und sich Einkaufstaschen und Kindersachen unter die Arme klemmte. Für den Rest sorgte die Schwerkraft, die einen auf einem wilden Zickzackkurs zum Gartentor brachte.
    Wir waren jung und daher war das an Sonnentagen, wenn der Hafen blau und flach wie eine Flunder dalag, kein Problem. Wenn aber von Süden her antarktische Winde wehten und an unseren Mantelknöpfen rissen und uns den Regenins Gesicht peitschten, wünschten wir, wir hätten ein vernünftigeres Haus gekauft.
    Aber dass wir zu Fuß in nur zwanzig Minuten in die Stadt kamen, war natürlich eine tolle Sache. Mit Seilen und Kletterschuhen ausgerüstet, hätten wir es sogar in fünf geschafft. Wenn wir in Richtung Stadt aufbrachen, zog uns eine unsichtbare Kraft die zweite Hälfte des Wegs hinunter, den wir wegen seiner wilden Biegungen irgendwann bloß noch den Ziegenpfad nannten. Wir sausten durch Gestrüpp und Neuseelandflachs und blieben nur stehen, wenn wir den Blick genießen wollten. Vor uns erhoben sich kahl und steil die amethystfarbenen Hügel. Dass wir an dieser Schönheit teilhaben durften, erstaunte mich jedes Mal aufs Neue.
    Dann zog uns die Kraft weiter über eine alte Fußgängerbrücke aus Holz, die sich über die Hauptstraße spannte. Von dort aus gingen wir entweder hinüber zur Bushaltestelle oder wir setzten unseren Abstieg zum Parlamentsgebäude und zum Hauptbahnhof fort. Etwas ganz anderes war der Rückweg von der Stadt nach Hause. Er dauerte doppelt so lange und erforderte die Lungenkapazität eines Bergsteigers.
    Am Ziegenpfad herrschte eine strikte gesellschaftliche Zweiteilung. Es gab eine richtige Seite mit großen zweistöckigen Häusern in Gärten, die sich in Richtung Toskana orientierten. Und eine falsche Seite, wo einstöckige Häuser wie hingewürfelt am Rand der Klippe standen. Die Leute von der falschen Seite hatten eher Unkrautsammlungen als Gärten.
    Das Ansehen, das sich mit den Berufen der Bewohner verband, entsprach dem Gefälle des Ziegenpfads. Ganz oben auf der richtigen Seite ragte Mr. Butlers Haus wie eine Burg in die Höhe. Mit seinen grauen Mauern demonstriertedas Gebäude seine Überlegenheit nicht nur gegenüber seinen Nachbarn, sondern gegenüber der ganzen Stadt.
    Unterhalb von Mr. Butlers Burg hatte sich ein zweistöckiges Haus vom Weg ab- und dem Hafen zugewandt, so als käme es ihm gar nicht in den Sinn, sich mit den anderen zu messen. Mit seinem elegant wie die Flügel einer Möwe geschwungenen Dach machte es den Eindruck, bei der nächsten kräftigen Böe losfliegen zu wollen, einer weitaus glamouröseren Welt entgegen. Rick Desilva besaß eine Plattenfirma. Es hieß, seine Frau Ginny sei vor der Eheschließung Fotomodell gewesen, Neuseelands Antwort auf Twiggy. Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher