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Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
Autoren: Laura Amy Schlitz
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bemüht, die Aufmerksamkeit der Anwesenden wiederzugewinnen – »ad dirigendos pedes nostros in viam paci …«
    Parsefall gähnte. Vor dieser Trauerfeier hatte er noch nie Latein gehört und er hielt es für irrsinnig, dass man in einer Sprache predigte, die niemand verstand. Er hatte den Eindruck, dem Priester bereitete es ein boshaftes Vergnügen, den Gottesdienst möglichst in die Länge zu ziehen. Der alte Herr hatte Gebete gesprochen und gesungen und den Sarg mit unzähligen Aufmerksamkeiten bedacht: Er hatte ringsherum Kerzen entzündet, ihn mit Wasser bespritzt und mit Qualm aus einem kleinen Teekessel, der an einer Kette hing, eingeräuchert. Und jetzt, da der Leichnam sich schon neben dem ausgehobenen Grab befand, wollte der Mann anscheinend wieder von vorne anfangen und spritzte Wasser auf das Grab und setzte zu einer weiteren Runde Gebete an. Es ließ sich nicht absehen, wie lange das so weitergehen würde. Parsefall versuchte, Blickkontakt mit Clara aufzunehmen, aber die benahm sich heute wie die Tugend in Person. Sie stand aufrecht und ruhig da und hatte die Hände vor dem Körper gefaltet. Parsefall juckte es, eine Handvoll Schneematsch aufzuheben und ihr in den Kragen ihres Kleides zu stopfen.
    Er trat von einem Fuß auf den anderen und seufzte laut. Sein Blick begegnete dem von Dr. Wintermute. Während des Gottesdienstes hatte Parsefall sich die Zeit damit vertrieben, den Rücken seines Gesangsbuchs rhythmisch knacken zu lassen. Dr. Wintermute hatte ihn fest angeblickt und ihm begütigend die Hand auf die Schulter gelegt. Das war eine Form des Tadels, die Parsefall nie untergekommen war, und er wusste noch nicht, wie er sich dagegen zur Wehr setzen sollte. Er wandte den Kopf zur Seite, um dem Blick des Doktors auszuweichen. Der alte Wintermute hatte gesagt, er müsse lesen lernen. In Parsefalls Augen war das keine freudige Aussicht, aber Clara und Lizzie Rose hatten ihm versichert, dass es gar nicht schwer sei und später nützlich wäre, um sein eigenes Theater zu führen.
    Sein Theater! Bei diesem Gedanken verlor sich die Stimme des Priesters in weiter Ferne und Parsefall tauchte in einen Tagtraum ein. Das, wovon er immer geträumt hatte, würde wahr werden. Eines Tages würde er sein eigenes Theater besitzen, mit einer richtigen Vorbühne, mit Kulissen und einer Brücke zum Bedienen der Puppen. Und Clara hatte vorgeschlagen, eine kleine Bühne in einem der Kinderzimmer aufzubauen, bis es so weit war. Sobald er gemeinsam mit den Wintermutes nach London zurückgekehrt war, würde er Mrs Pinchbeck aufsuchen und Anspruch auf Grisinis alte Puppenbühne erheben. Clara würde die Vorhänge nähen, und er würde ihr beibringen, wie man die fantoccini handhabte. Sie könnten gleich damit anfangen, und in Kürze würde er schon bei den Royal Marionettes in die Lehre gehen.
    Wenn nur die Beerdigung endlich vorbei wäre! Er schabte mit der Stiefelspitze den Schneematsch beiseite und bewunderte das leuchtend grüne Moos darunter. Nichts ging voran; kein neues Leben konnte beginnen, bis der Priester nicht endlich den Mund hielt. Parsefalls Blick schweifte von dem Fleckchen Moos zu Grisinis frischem Grab hinüber. Er lächelte.
    Grisinis Grabstein war klein. Man hatte ihn in aller Eile in Auftrag gegeben und nur seinen Namen eingemeißelt. Mehr gab es nicht zu schreiben: Grisini war niemandes geliebter Ehemann, Vater oder Bruder gewesen, die Frage, wo er sein Leben nach dem Tode verbringen würde, warf man besser nicht auf, und es war nicht üblich, das Talent eines Puppenmeisters auf seinem Grabstein zu rühmen. Nichtsdestotrotz wurde Parsefall das bohrende Gefühl nicht los, dass etwas fehlte. Und mit einem Mal wusste er, was es war. Er musste kichern, wofür er einen scharfen Blick von Dr. Wintermute erntete.
    Er würde Madamas Messingaffen holen und auf Grisinis Grabstein setzen. Er hatte es doch geahnt, dass die Figur früher oder später noch zu etwas gut sein würde. Wo wäre der Affe besser aufgehoben, als heimtückisch auf Grisinis Grab zu grinsen? Mit seinen angewinkelten Beinen müsste der Affe von allein auf dem Grabstein halten, ansonsten würde er ihn mit ein paar Kieselsteinen stabilisieren.
    Lizzie Rose musste das hören. Parsefall trat näher an sie heran und flüsterte ihr ins Ohr: »Der Affe. Komm, wir holen den Affen und setzen ihn auf Grisinis Grab.«
    Sie wirkte erschrocken.
    »Auf den Grabstein«, zischte er. »Sodass die Beine über die Kante hängen.«
    Er sah, dass sie darüber
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