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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
Autoren: Anne Rice
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Bluttrinker, die sich hier herumtreiben. Keiner wird deinen Kindern etwas tun. Selbst wenn ich nicht da wäre und es nicht angeordnet hafte, würde es keiner wagen.« Nun war es an mir zu nicken. Aber eigentlich war ich mir nicht so sicher. Vampire sind von Natur aus pervers und tun niederträchtige, schreckliche Dinge nur aus Spaß an der Sache. Wenn hier in den Ausläufern der Stadt eine grausame, fremdartige Kreatur herumlungert, angezogen durch die bemerkenswerten Vorgänge, kann sie es durchaus als lohnendes Vergnügen betrachten, das Hätschelkind eines Sterblichen zu töten. »Du bist ein Wunder, mein junger Freund«, sagte Marius lächelnd zu mir. Jung! Wer außer meinem Erzeuger Marius könnte mich so nennen, und was sind fünfhundert Jahre für ihn? »Du hast dich der Sonne ausgeliefert«, fuhr er fort, immer noch mit deutlicher Betroffenheit auf seinem gütigen Gesicht, »und du lebst noch und kannst davon erzählen.«
    »Mich der Sonne ausgeliefert?« Ich stellte seine Worte in Frage. Aber ich wollte nicht mehr enthüllen. Ich wollte noch nicht sprechen, nicht über die Geschehnisse, nicht über die Legende von Veronikas Schweißtuch, nicht über das Antlitz des HERRN, das darauf flammte, nicht von dem Morgen, an dem ich in einem Zustand perfekter Glückseligkeit meine Seele hingegeben hatte. Was für eine Fabel! Marius kam die Stufen herauf, um mir näher zu sein, aber er hielt einen Höflichkeitsabstand ein. Er war immer schon der perfekte Gentleman gewesen, selbst als es dieses Wort noch gar nicht gab. Im alten Rom muss es doch eine Bezeichnung für eine solche Person gegeben haben, die überall und immer gutes Benehmen zeigte und für die Zuvorkommenheit und Rücksicht auf andere eine Art Ehrenkodex war und die dabei die einfachsten Regeln der Höflichkeit gegen Arm und Reich gleichermaßen walten ließ! So war Marius, und soweit ich wusste, war er immer so gewesen.
    Er legte seine schneeweiße Hand auf das matt glänzende Geländer. Er trug einen langen, formlosen Umhang aus grauem Samt, der einst extravagant gewesen war, nun aber abgeschabt vom Tragen und von Regengüssen, und sein blondes Haar, lang wie Lestats Haar und jetzt ungebärdig ob der Feuchtigkeit, fing die streunenden Lichtstrahlen auf. Es war betupft mit Tautropfen, die auch an seinen goldenen Augenbrauen und in seinen langen, gebogenen Wimpern hingen, die seine großen, kobaltblauen Augen umrahmten.
    Insgesamt umgab ihn ein eher eisiges Flair, im Gegensatz zu Lestat, dessen Haar mit all den schimmernden Lichtern darin mehr ins Goldene spielte, und dessen prismagleiche Augen die Farben ringsum einfingen und beim kleinsten Anreiz der anbetenden Welt da draußen sogar das herrlichste Violett annahmen. Marius’ Augen verkörperten für mich den sonnenhellen Himmel der nordischen Wildnis und waren erfüllt von einem steten Leuchten, das jede sich aufdrängende Farbe abwies und ein vollkommenes Tor zu seiner absolut beständigen Seele war. »Armand«, sagte er. »Ich möchte, dass du mit mir kommst.«
    »Wohin, Herr, wohin soll ich mitkommen?«, fragte ich. Auch ich wollte nicht unhöflich sein. Er hatte immer schon, selbst nach unseren intellektuellen Streitereien, diese bessere Seite in mir hervorgebracht. »Zu meinem Haus, Armand, wo die beiden jetzt sind, Sybelle und Benji. Du brauchst nicht um sie zu fürchten, keine Sekunde. Pandora ist bei ihnen. Sie sind schon erstaunlich, diese Sterblichen, brillant, bemerkenswert unterschiedlich und doch wieder ähnlich. Sie lieben dich, und sie haben ein großes Wissen und sind mit dir schon eine beachtliche Wegstrecke gegangen.« Mir stieg blutige Röte ins Gesicht, eine stechende und unangenehme Hitze, und als dann das Blut wieder aus meinem Gesicht wich und ich kühler war, fühlte ich mich merkwürdig ermattet, weil ich überhaupt Gefühlsregungen gehabt hatte. Hier zu sein war für mich ein Schock, und ich hätte es gern hinter mich gebracht.
    »Herr, ich weiß nicht, wer ich bin in diesem neuen Leben«, sagte ich dankbar. »Wiedergeboren? Verwirrt?« Ich zögerte, aber es hatte keinen Zweck, die Worte zurückzuhalten. »Bitte mich nicht darum, hier zu bleiben. Vielleicht irgendwann, wenn Lestat wieder er selbst ist, vielleicht, wenn genügend Zeit vergangen ist - ich weiß nicht genau, wann, nur jetzt kann ich deine gut gemeinte Einladung nicht annehmen.« Er nickte kurz und zustimmend. Seine Hände vollführten eine beruhigende Geste. Sein alter grauer Umhang war ihm von einer Schulter
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