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Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Titel: Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
Autoren: Anne Rice
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Und irgend jemand hat sie fortgeschafft!
    Durchsuche den Keller. Durchsuche das Haus.
    Aber das waren verzweifelte, dumme Gedanken. Niemand war hier eingedrungen, und er wußte das. Nur ein einziges Wesen kam für diese Tat in Frage! Nur ein einziges Wesen hatte wissen können, daß derlei überhaupt möglich war.
    Er rührte sich nicht. Er starrte auf die Figur am Boden, sah zu, wie sie die letzten Reste von Undurchsichtigkeit einbüßte. Und er wollte, daß er um die Gestalt Tränen vergießen könnte, wie es sich jetzt geziemt hätte. Hingeschieden war Enkil samt allem, was er je gewußt und gesehen hatte. Vorbei auch das, so unerträglich der Gedanke auch war. Aber Marius war nicht alleine.
    Jemand war gerade aus der Kammer getreten, und er spürte, daß er beobachtet wurde. Einen Moment lang hielt er seine Augen auf den gefallenen König geheftet. So ruhig wie möglich versuchte er zu begreifen, was sich um ihn herum abspielte. Der Jemand kam lautlos näher, wurde ein Schatten in seinem Augenwinkel, als er um den Thron ging und sich neben ihn stellte.
    Er wußte, wer es war, sein mußte, und dieser Jemand war mit der Gelassenheit eines lebenden Wesens auf ihn zugeschritten. Doch als er aufblickte, wären ihm beinahe die Sinne geschwunden.
    Kaum zehn Zentimeter neben ihm stand - Akascha. Ihre Haut war weiß und fest und undurchsichtig wie schon immer. Wenn sie lächelte, leuchteten ihre Wangen wie aus Perlmutt, und ihre schwarzen, feuchten Augen blitzten auf.
    Wortlos starrte er sie an. Er sah zu, als sie ihre juwelenbesetzten Finger hob, seine Schulter zu berühren. Er schloß seine Augen und öffnete sie dann wieder. Jahrtausende hatte er sich in allen möglichen Sprachen an sie gewandt - mit Gebeten, Bitten, Beschwerden und Geständnissen -, und jetzt sagte er kein einziges Wort. Er sah bloß ihre Lippen an, die ihre weißen Fangzähne freilegten, und das kalte Glimmen ihrer Augen, die ihn wiederzuerkennen schienen, und ihre sanft wogenden Brüste unter dem Goldhalsband.
    »Du hast mir einen guten Dienst erwiesen«, sagte sie. »Vielen Dank.« Ihre Stimme klang leise und rauh und schön. Aber hatte er das nicht erst vor wenigen Stunden wörtlich und in genau diesem Tonfall dem Mädchen in dem dunklen Laden gesagt?
    Die Finger umklammerten seine Schulter.
    »Ach Marius«, sagte sie, wobei sie seine Stimme wieder täuschend nachahmte, »du gibst wohl nie auf, oder? Mit deinen verrückten Träumereien bist du kein Stück besser als Lestat.«
    Wieder seine eigenen Worte, die er sich gerade in den Straßen San Franciscos selbst gesagt hatte. Sie machte sich über ihn lustig! Empfand er Entsetzen oder Haß? Haß, der seit Jahrhunderten in ihm geruht hatte, angereichert mit Groll und Überdruß und Trauer um sein menschliches Herz, Haß, der nun in unvorstellbarem Maße aufkochte. Er wagte nicht zu sprechen, sich zu rühren. Der Haß war etwas Neues, etwas Erstaunliches und hatte ihn voll in der Gewalt, und er konnte ihn weder begreifen noch zügeln. Er hatte den Verstand verloren.
    Aber sie wußte Bescheid. Natürlich.
    Sie wußte alles, sie kannte jeden Gedanken, jedes Wort, jede Tat - das war es, was sie ihm mitteilte. Schon immer hatte sie alles gewußt! Und sie wußte auch, daß das Wesen neben ihr völlig wehrlos war. Und was jetzt eigentlich ein Augenblick des Triumphes hätte sein sollen, geriet irgendwie zu einem Augenblick des Schreckens.
    Sie lachte zärtlich auf, als sie ihn ansah. Nun aber war es unerträglich; er wollte ihr weh tun, er wollte sie mit all ihren verdammten Kindern vernichten. Laßt uns samt und sonders mit ihr untergehen 1 . Er hätte sie vernichtet, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre!
    Anscheinend nickte sie, zeigte sie Verständnis für diese ganze Ungeheuerlichkeit. Nun, er begriff nichts. Und gleich darauf hätte er am liebsten wie ein kleines Kind losgeheult. »Mein lieber Diener«, sagte sie bitter lächelnd, »du hast noch nie die Macht gehabt, mir Einhalt zu gebieten.«
    »Was willst du?! Was hast du vor?!«
    »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte sie so höflich, wie er die nämlichen Worte an den jungen im Hinterzimmer der Bar gerichtet hatte. »Ich breche gerade auf.«
    Ehe der Boden in Bewegung geriet, hörte er das kreischende Geräusch zerberstenden Metalls. Er stürzte, und der Bildschirm des Fernsehers war implodiert, und die Glasscherben bohrten sich wie unzählige winzige Dolche in seinen Körper. Er schrie laut auf, wie ein Sterblicher, und diesmal war es Angst.
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