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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Autoren: Anne Rice
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über die Visionen nicht im klaren. Bis heute nicht.« Und wieder wartete er, bis der Junge sagte:
    »Ja, bitte, fahren Sie fort.«
    »Also, ich wollte die Plantagen verkaufen. Ich wollte das Landhaus und die Kapelle nie wieder sehen. Schließlich verpachtete ich sie an eine Agentur, die sie für mich verwaltete, so daß ich mich nicht mehr darum zu kümmern brauchte, und zog mit Mutter und Schwester in eins unserer Häuser in New Orleans. Natürlich konnte ich dadurch meinem Bruder nicht einen Augenblick entrinnen. Ich konnte an nichts anderes denken als an seinen Leib, der in der Erde faulte. Er wurde auf dem Friedhof von St. Louis in New Orleans begraben. Ich betrat den Friedhof nie; doch immer mußte ich an meinen Bruder denken. Nüchtern oder betrunken, sah ich stets seinen Leib im Sarge faulen; ich konnte es nicht ertragen. Immer wieder träumte ich, daß er oben auf der Treppe der Terrasse stand, daß ich ihn am Arm hielt und freundlich auf ihn einredete, ihn bat, ins Zimmer zurückzukommen, und ihm sanft sagte, ich glaubte ihm und er müsse für mich beten, damit ich Vertrauen bekäme.
    Mittlerweile fingen die Sklaven auf Pointe du Lac (das war meine Plantage) zu reden an, sie hätten den Geist meines Bruders auf der Terrasse gesehen; sie wurden unruhig, und der Aufseher konnte keine Ordnung unter ihnen halten. Die Leute in der Stadt stellten meiner Schwester zudringliche Fragen über den Vorfall, und sie wurde hysterisch. Sie war nicht wirklich hysterisch. Sie dachte einfach, daß sie so reagieren sollte, also tat sie es. Ich trank die ganze Zeit und hielt mich so wenig wie möglich zu Hause auf; ich lebte wie ein Mensch, der sterben möchte, aber nicht den Mut hat, es selber zu besorgen. Ich streifte allein durch finstere Straßen und Hintergäßchen, und versackte in Nachtlokalen. Zwei Duellen wich ich aus, nicht aus Feigheit, sondern aus Gleichgültigkeit, denn eigentlich wünschte ich mir ja den Tod. Und dann wurde ich überfallen. Es hätte jedermann sein können - und es waren genug in der Stadt, Seeleute, Diebe, Verbrecher. Aber es war ein Vampir. Er griff mich eines Nachts nur wenige Schritte vor meiner Haustür an und ließ mich tot zurück, so dachte ich jedenfalls.«
    »Sie meinen… er hat Ihnen das Blut ausgesaugt?« fragte der Junge. »Ja.« Der Vampir lachte. »Er hat mein Blut gesaugt. So wird es gemacht.«
    »Aber Sie sind am Leben geblieben?« sagte der junge Mann. »Sie sagten, er habe Sie tot zurückgelassen.«
    »Ja, er hat mich leergetrunken, bis ich fast tot war; das muß ihm genügt haben. Als man mich fand, brachte man mich zu Bett. Ich war verstört und wußte nicht recht, was mit mir geschehen war; ich dachte, mich habe in der Trunkenheit der Schlag getroffen. Ich war bereit zu sterben und lag apathisch da, ohne zu essen oder zu trinken und mit dem Arzt zu sprechen. Meine Mutter ließ den Priester holen. Ich fieberte und erzählte ihm alles, was für Visionen mein Bruder gehabt und was ich getan hatte; ich klammerte mich an seinen Arm und ließ ihn schwören, es niemandem zu sagen. Ich weiß, daß ich ihn nicht umgebracht habe, sagte ich zu dem Priester, aber ich kann nicht weiterleben, nachdem er tot ist. Nicht, nachdem ich so zu ihm gewesen bin.
    ›Das ist lächerliche sagte der Priester. ›Natürlich können Sie weiterleben. Sie dürfen sich nicht gehenlassen. Ihre Mutter und Schwester brauchen Sie. Und was Ihren Bruder betrifft, so war er vom Teufel besessene Als der Priester dies sagte, war ich so bestürzt, daß ich nicht widersprechen konnte. Die Visionen seien ein Werk des Teufels gewesen, fuhr er fort. Der Teufel geht umher und sucht, welchen er verschlinge. Ganz Frankreich steht unter seinem Einfluß, und die Revolution ist sein größter Triumph. Nur Exorzismus, Gebete und Fasten hätten meinen Bruder retten können; es hätten ihn starke Männer festhalten müssen, während der Teufel in ihm wütete und ihn zu bezwingen versuchte. ›Der Teufel hat ihn die Treppe hinuntergeworfen, daran ist kein Zweifel, erklärte er. ›Nicht zu Ihrem Bruder haben Sie in diesem Zimmer gesprochen, sondern zum Teufel.‹ Darüber geriet ich in Wut. Ich hatte gedacht, ich wäre am Ende meiner Kräfte, doch dem war nicht so. Als der Priester weiter vom Teufel schwatzte, über Voodoo-Zauber unter den Sklaven und von Fällen von Besessenheit in anderen Teilen der Welt, verlor ich die Fassung und hätte beinahe die Zimmereinrichtung zertrümmert, als ich versuchte, ihn zu
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