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Christmasland (German Edition)

Christmasland (German Edition)

Titel: Christmasland (German Edition)
Autoren: Joe Hill
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weiß, dass ich ihn hatte.«
    » V ielleicht hast du ihn ja am Wasser abgelegt?«, sagte Chris McQueen. »Bevor du in den See gegangen bist? Gestern Nachmittag?«
    »Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich nicht schwimmen war.«
    »Womöglich hast du ihn abgenommen, als du dich mit der Sonnencreme eingeschmiert hast?«
    So ging es immer weiter hin und her, aber das Gör – V ictoria für ihre Grundschullehrerin, V icky für ihre Mutter, doch für ihren V ater und in ihrem Herzen das Gör – beschloss, die Sache erst mal zu ignorieren. Mit ihren acht Jahren war sie die Gefühlsausbrüche ihrer Mutter längst gewohnt. Linda McQueens überdrehtes Lachen und die exaltierten Ausrufe der Enttäuschung bildeten den Soundtrack ihres Lebens und waren nur selten wirklich ernst zu nehmen.
    Sie glättete das Poster, klebte die restlichen Ecken fest und trat dann einen Schritt zurück, um es zu bewundern. David Hasselhoff – wie cool! Sie kniff leicht die Augen zusammen und versuchte festzustellen, ob das Poster wirklich gerade hing, als sie eine Tür knallen hörte, einen weiteren wütenden Schrei – wieder ihre Mutter – und dann die Stimme ihres V aters.
    »Hab ich’s nicht gewusst, dass es darauf hinausläuft?«, sagte er. »Wie auf Bestellung.«
    »Ich habe dich gefragt, ob du im Badezimmer nachgesehen hast, und du hast das bejaht. Du hast gesagt, dass wir alles hätten. Hast du nun im Badezimmer nachgesehen oder nicht?«
    »Ich weiß es nicht. Nein. Wahrscheinlich nicht. Aber es spielt keine Rolle, weil du ihn nicht im Badezimmer gelassen hast, Linda. Willst du wissen, woher ich weiß, dass du deinen Armreif nicht im Badezimmer gelassen hast? Weil du ihn gestern am Seeufer vergessen hast. Du und Regina Roeson, ihr habt euch in der Sonne geaalt und euch ein paar Margaritas gegönnt, und dann warst du so entspannt, dass du deine Tochter irgendwie ganz vergessen hast und eingeschlafen bist. Und als du wieder wach wurdest, warst du eine Stunde zu spät dran, um deine Tochter rechtzeitig von der Tagesbetreuung abzuholen …«
    »Ich war nicht eine Stunde zu spät.«
    »… du bist panikartig losgefahren. Und hast deine Sonnencreme liegen gelassen, genau wie dein Handtuch und deinen Armreif. Und jetzt …«
    »… und ich war auch nicht betrunken, falls du das andeuten willst. Ich fahre unsere Tochter nicht in betrunkenem Zustand, Chris. Das ist deine Spezialität …«
    »… und jetzt ziehst du deine übliche Nummer ab und versuchst einfach, jemand andres die Schuld in die Schuhe zu schieben.«
    Das Gör merkte kaum, wie sie durch den dunklen Korridor auf das Schlafzimmer ihrer Eltern zuging. Die Tür stand einen Spaltbreit offen, und ein Stück vom Bett ihrer Eltern war zu sehen, ebenso wie der Koffer, der darauf lag. Kleider waren herausgerissen und auf dem Boden verteilt worden. Sicherlich hatte ihre Mutter die Sachen hektisch herausgezerrt und im Zimmer verteilt, auf der Suche nach dem verlorenen Armreif: einem goldenen Ring mit einem Schmetterling darauf, der aus glitzernden blauen Saphiren und an Eissplitter erinnernden Diamanten bestand.
    Ihre Mutter ging auf und ab und tauchte alle paar Sekunden in dem schmalen Ausschnitt auf, den das Gör vom Schlafzimmer sehen konnte.
    »Mit gestern hat das nichts zu tun. Ich habe dir doch gesagt, dass ich ihn nicht am Seeufer verloren habe. Das weiß ich genau. Heute früh lag er noch neben dem Waschbecken bei meinen Ohrringen. Wenn er nicht an der Rezeption ist, dann muss ihn eines der Zimmermädchen eingesteckt haben, um sein Gehalt aufzubessern. Die stecken einfach alles ein, was die Urlauber liegen lassen.«
    Der V ater des Görs schwieg einen Moment, dann sagte er: »Mein Gott. Was bist du doch für ein hässlicher Mensch. Und mit dir habe ich ein Kind gezeugt.«
    Das Gör zuckte zusammen. Eine prickelnde Hitze stieg hinter ihren Augen auf, aber sie weinte nicht. Unwillkürlich biss sie sich auf die Unterlippe, und der scharfe Schmerz hielt die Tränen im Zaum.
    Ihre Mutter fing an zu weinen. Sie kam wieder in Sicht, eine Hand vor das Gesicht geschlagen. Ihre Schultern bebten. Das Gör wollte nicht gesehen werden und zog sich in den Korridor zurück.
    V ic ging an ihrem Zimmer vorbei, durch die Haustür nach draußen. Plötzlich hielt sie es hier drin nicht mehr aus. Die Luft im Haus war abgestanden. Die Klimaanlage war eine Woche lang ausgeschaltet gewesen. Die Zimmerpflanzen waren alle eingegangen und rochen auch so.
    Sie wusste nicht, wohin sie ging, bis sie dort war,
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