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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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von Willy … ich meine von Wilhelm.«
    Kasdan lockerte seinen Griff.
    »Das heißt?«
    »Sein Freund … also sein Boyfriend .«
    Kasdan musterte seinen Gefangenen. Schlanke Figur, schmale und zarte Handgelenke, Ringe und Armbänder, Jeans mit tiefer Taille. Alles schien zu passen.
    Die Karten wurden neu gemischt. Der Armenier musste sein Spiel überdenken.
    Wilhelm Götz hatte einen Grund dafür gehabt, dass er sich über sein Privatleben in Schweigen hüllte. Ein Schwuler alten Schlages, der seine sexuellen Neigungen verheimlichte, weil er sich ihrer schämte.
    Kasdan sog die feuchte Luft tief ein und befahl dem Jungen:
    »Erzähl!«
    »Was … was wollen Sie wissen?«
    »Alles.«

KAPITEL 7
    »Ich habe Willy auf der Polizeipräfektur kennengelernt. Wir standen wegen unserer Aufenthaltsgenehmigungen an.«
    Als er noch Polizist war, hatte Kasdan solchen Aussagen immer Glauben geschenkt. Je absurder sich eine Geschichte anhörte, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie stimmte.
    »Wir waren beide politische Flüchtlinge.«
    »Du ein Asylant?«
    »Seit dem Wahlsieg der Partei Mouvement Socialiste Mauricien und Anerood Jugnauths Rückkehr an die Macht bin ich …«
    »Deine Papiere!«
    Der Mauritier tastete seinen Blouson ab und zog eine Brieftasche heraus. Kasdan riss sie ihm aus der Hand. Fotos von der Insel, von Götz, von eingeölten jungen Männern. Kondome. Dem Armenier wurde übel. Er kämpfte gegen seinen Ekel und den spontanen Impuls, dem Jungen eine runterzuhauen.
    Schließlich fand er den Ausländerausweis und den Reisepass. Kasdan steckte die Dokumente ein und warf dem jungen Mann den Rest an den Kopf:
    »Eingezogen!«
    »Aber …«
    »Halt die Klappe. Wann hast du ihn kennengelernt?«
    »2004. Wir haben Blicke gewechselt … und uns verstanden.«
    Die kleine Tunte sprach mit näselnder Stimme und in ungerührtem – halb indischem, halb kreolischem – Tonfall.
    »Seit wann bist du in Paris?«
    »Seit 2003.«
    »Hast du bei Götz gewohnt?«
    »Ich habe an drei Abenden pro Woche bei ihm geschlafen. Aber wir haben jeden Tag telefoniert.«
    »Hast du noch andere Liebhaber?«
    »Nein.«
    »Erzähl mir keine Märchen!«
    Der Junge rekelte sich affektiert. Kasdans Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Er reagierte allergisch auf Tunten.
    »Ich treff mich mit anderen Männern, ja.«
    »Bezahlen sie dich?«
    Der exotische Vogel antwortete nicht. Kasdan richtete die Lampe auf sein Gesicht und musterte ihn eingehend. Ein dunkles Katzengesicht mit vorstehenden Kinnbacken. Eine kurze Nase, kleine runde Nasenlöcher, die wie Piercings am Nasenrücken klebten. Sinnliche Lippen, die heller waren als die Haut. Und helle Augen, die, umrahmt von leicht geschwollenen Boxerlidern, aus diesem rötlich braunen Gesicht strahlten. Für Leute, die Gefallen daran fanden, musste dieser goldbraune Junge zum Anbeißen sein.
    »Ja, sie geben mir Geld.«
    »Auch Götz?«
    »Ja.«
    »Warum hast du ausgerechnet heute Abend deine Sachen geholt?«
    »Ich …« Er hustete ein weiteres Mal und spuckte dann aus. »Ich will keine Schwierigkeiten.«
    »Wieso solltest du Schwierigkeiten kriegen?«
    Naseer warf ihm einen schmachtenden Blick zu. Tränen verstärkten den Glanz seiner Augen.
    »Ich weiß über Willy Bescheid. Er ist tot. Er wurde ermordet.«
    »Woher weißt du das?«
    »Wir waren heute Abend verabredet. In einem Café in der Rue Vieille-du-Temple. Er ist nicht gekommen. Ich hab mir Sorgen gemacht. Ich habe in der Kirche angerufen. Saint-Jean-Baptiste. Ich hab mit dem Pfarrer gesprochen.«
    »Saint-Jean-Baptiste ist eine armenische Kirche. Wir haben keinen Pfarrer, sondern Patres.«
    »Ja richtig … mit einem Pater. Er hat es mir gesagt.«
    »Woher hast du die Telefonnummer der Kathedrale?«
    »Willy hatte mir einen Terminkalender gegeben, eine Art Stundenplan. Die Orte, die Zeiten, Adressen und Telefonnummern der Kirchen und der Familien, wo er unterrichtete. Daher wusste ich immer, wo er war …«
    Er lächelte kurz. Zuckersüß, dachte Kasdan angewidert.
    »Ich bin ziemlich eifersüchtig.«
    »Gib mir diesen Terminkalender.«
    Ohne Widerworte nahm Naseer seinen Rucksack ab, öffnete die Tasche an der Vorderseite und zog ein gefaltetes Blatt heraus. Kasdan nahm es und überflog es. Einen besseren Fang hätte er sich nicht wünschen können. Die Namen und die Adressen der Pfarrgemeinden, für die Götz arbeitete, sowie die Anschriften und Telefonnummern aller Familien, in denen er Klavierunterricht gegeben hatte. Um an
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