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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Berge, nachdem er einen Weg eingeschlagen hatte, von dessen Existenz Kasdan nichts ahnte, oder ganz nahe, zusammengekauert in einer Nische, die er schon bald entdecken würde …
    Kasdan ließ den Lichtkegel durch den Raum gleiten, um seine Umgebung besser zu erkennen. Er stand auf einer schmalen Galerie, die auf beiden Seiten in einen Gewölbekorridor mündete. Er entschied sich für die rechte Seite und tauchte in den schmalen Stollen ein. Die Wände schwitzten. Der Boden war übersät von Pfützen. Stellenweise reichte die Mauer auf der linken Seite nur bis in Hüfthöhe und gab den Blick auf die Becken frei. Eine flüssige Masse in Grüntönen, klar, unbewegt. Die Pfeiler mündeten in Rundbögen, ähnlich wie in einem romanischen Kloster. Die Farben – das Grün des Wassers, das Rot der Säulen – weckten Erinnerungen an maurische Motive in lebhaften Emailtönen. Eine Alhambra für Höhlenbewohner.
    Der Lichtkegel seiner Lampe fiel auf Aquarien, die in die linke Steinwand eingelassen waren. Darin huschten Forellen über einem Kiesbett hin und her. Der Ex-Polizist erinnerte sich an eine Reportage. Früher wurden die Forellen in den Becken ausgesetzt, um die Sauberkeit zu überprüfen, denn diese Fische gingen bei der geringsten Verschmutzung des Wassers ein. Heute verfügten die Brunnenmeister über andere Überwachungsmethoden, doch sie hatten die Forellen behalten. Zweifellos aus Nostalgie.
    Noch immer kein Laut. Er würde sich noch in diesem Irrgarten verlaufen. Ein anderer Vergleich drängte sich ihm auf. Das halb unter Wasser gesetzte Labyrinth des Minotaurus. Er stellte sich ein Meeresungeheuer vor, das seine Opfer verfolgte und sie in diesem stehenden Gewässer zu Tode hetzte …
    Ein Hüsteln von irgendwoher.
    Das Geräusch war so kurz, so unwirklich, dass Kasdan glaubte, geträumt zu haben. Er schaltete seine Lampe aus. Die Kälte drang ihm in die Knochen und tat ihm seltsamerweise wohl.
    Wieder ein Hüsteln.
    Der Mann verbarg sich irgendwo – und er schlotterte. Kasdan ging blind weiter, so leise wie möglich. Das Geräusch war nur dreißig, vierzig Meter entfernt gewesen.
    Ein erneutes Hüsteln.
    Nur noch ein paar Schritte.
    Kasdan lächelte. Dieses kraftlose, kränkliche Hüsteln verriet Schwäche. Eine Verwundbarkeit, die zu der Gestalt passte, die er am Eisengitter des Parks gesehen hatte.
    »Komm raus aus deinem Versteck!«, sagte er in beruhigendem Ton. »Ich tu dir nichts.«
    Stille. Plätschern. Kasdans Füße versanken im Morast. Der modrige Geruch eines überfluteten Kellers stach ihm in die Nase.
    Er änderte seinen Tonfall:
    »Komm raus! Ich bin bewaffnet.«
    Nach ein paar Sekunden:
    »Hier …«
    Kasdan schaltete seine Taschenlampe ein und richtete sie auf die Stelle, von der das Hüsteln kam. In einem Gewölbe mit abblätterndem Putz kauerte ein Mann. Der Armenier richtete den Lichtkegel seiner Lampe auf den Jungen, um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen. Der Typ duckte sich noch tiefer. Kasdan hörte das Klappern seiner Zähne – das war weniger die Kälte, sondern Angst. Langsam musterte er seine in die Enge getriebene Beute, indem er den Lichtstrahl vom Gesicht über die Schultern bis zu den Füßen gleiten ließ.
    Ein Inder.
    Ein junger Mann mit dunkler Gesichtsfarbe und schwarzem Haar.
    Allerdings hatte der Junge grüne Augen – Augen von übernatürlicher Klarheit, als trüge er Kontaktlinsen. Eine Klarheit, die auf seltsame Weise mit der Farbe des unbewegten Wassers in dem Becken hinter ihnen übereinstimmte. Kasdan dachte an die kreolischen und holländischen Mischlinge, denen man auf bestimmten Karibik-Inseln begegnete.
    »Wer bist du?«
    »Bitte, tun Sie mir nichts!«
    Kasdan packte ihn, zog ihn aus seinem Versteck und stellte ihn auf die Beine. Sechzig Kilo, total durchnässt.
    » WER BIST DU ?«
    »Ich heiße …« Der Junge hustete und fuhr dann fort: »Ich heiße Naseerudin Sarakramahata. Aber alle nennen mich Naseer.«
    »Du überraschst mich. Woher kommst du?«
    »Von der Insel Mauritius.«
    Die Exotik schien kein Ende zu nehmen. Ein armenischer Polizist befragte einen Mauritier über einen chilenischen Chorleiter. Das war keine Vernehmung mehr, sondern eher »World Kitchen«.
    »Was hast du bei Götz gemacht?«
    »Ich hab meine Sachen geholt.«
    »Deine Sachen?«
    Ein mattes Lächeln trat auf die rosa Lippen des Inders. Ein Lächeln, das ihm Kasdan am liebsten mit Faustschlägen ausgetrieben hätte. Er begann zu erahnen, worum es sich handelte.
    »Ich bin ein Freund
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