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Charlottes Traumpferd

Charlottes Traumpferd

Titel: Charlottes Traumpferd
Autoren: Nele Neuhaus
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hatte?
    Herr Lauterbach war auch da.
    Als Gento mich erblickte, wieherte er fröhlich. Es schnitt mir ins Herz. Er konnte ja nicht ahnen, dass es heute das letzte Mal war!
    Â»Ach, Charlotte …« Herr Lauterbach schien sich bei meinem Anblick sichtlich unwohl in seiner Haut zu fühlen. »Es … es tut mir leid, dass ich vergessen habe, es dir zu sagen, aber ich hatte so viel zu tun …«
    Stumm holte ich den Geldschein, den er mir gegeben hatte, heraus und warf ihn dem Mann vor die Füße.
    Â»Ich will Ihr Schmiergeld nicht«, stieß ich hervor. »Alles, was ich getan habe, habe ich für Gento getan und nicht für Sie. Er war immer brav und als Dank dafür verkaufen Sie ihn einfach.«
    Herr Lauterbach lief rot an, aber es hatte ihm offenbar die Sprache verschlagen.
    Der junge Mann grinste belustigt. Lachte er mich etwa aus? Egal. Was hatte ich schon zu verlieren?
    Â»Ich wollte Sie fragen, ob Sie mir Gento nicht verkaufen würden«, wandte ich mich nun verzweifelt an den neuen Besitzer und zog mein Sparbuch heraus. »Ich habe dreitausend Euro, die kann ich Ihnen geben.«
    Â»Hm, ich glaube nicht, dass das reicht«, antwortete der junge Mann freundlich. »Aber du musst dir keine Sorgen um Gento machen. Er wird es bei uns sehr gut haben.«
    Â»Ich kann sicher noch fünfhundert Euro dazulegen«, beharrte ich und hielt ihm hoffnungsvoll mein Sparbuch hin. Zögerte der Mann? Überlegte er es sich vielleicht doch noch anders? Mein Herz klopfte wie wild.
    Â»Komm, Mädchen, jetzt hör auf mit dem Zirkus«, mischte sich Herr Lauterbach ein und ließ die Klappe des Pferdeanhängers herunter. »Ich muss wieder in die Firma zurück.«
    Doch ich beachtete ihn nicht.
    Â»Es tut mir leid, Charlotte.« Der junge Mann lächelte nicht mehr und hob bedauernd die Schultern. »Ich kann mir vorstellen, wie weh es dir tut, wenn ich Gento jetzt mitnehme. Aber ich habe fünfundvierzigtausend Euro für ihn bezahlt.«
    Mir wurde schwindelig, meine Knie zitterten. Fünfundvierzigtausend Euro! Die Enttäuschung schlug wie eine schwarze Welle über mir zusammen. Gento wieherte wieder und klopfte ungeduldig mit dem Huf gegen die Boxentür. So lange hatte ich ihn noch nie auf seinen Apfel warten lassen.
    Â»Ich gebe dir meine Adresse«, schlug der junge Mann vor und zog eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche. »Du kommst Gento einfach mal bei uns besuchen. So weit ist es ja nicht.«
    Er hielt mir die Visitenkarte hin.
    Â»Weißt du, ich habe Gento oft auf Turnieren gesehen und freue mich sehr, dass er jetzt mir gehört. Er wird eine schöne Box mit Fenster bekommen und eine Koppel, die er hier nicht hat. Ruf mich einfach an, wenn du ihn besuchen möchtest, okay?«
    Ich nickte benommen und nahm die Karte. Dann sah ich zu, wie er Gento aus seiner Box holte. Er hatte ihm ein neues Lederhalfter angezogen und der braune Wallach folgte ihm willig auf den Pferdehänger. Herr Lauterbach schloss die Klappe. Er hatte Gento zum Abschied nicht einmal gestreichelt! Der junge Mann winkte mir noch einmal zu, dann setzte er sich in sein Auto und fuhr davon. Mit meinem Pferd.
    Â»Leb wohl, Gento«, flüsterte ich. Alles verschwamm vor meinen Augen, aber ich sah dem Anhänger nach, bis er die Auffahrt hinuntergefahren und verschwunden war.
    Oft hatte ich so dagestanden und Gento nachgesehen, wenn Herr Lauterbach auf ein Turnier gefahren war. Doch da hatte ich gewusst, dass er am nächsten Tag wieder in seiner Box stehen würde. Diesmal würde er nicht wiederkommen. Gento war fort. Für immer.

Am nächsten Morgen stand ich erst gar nicht auf. Wozu auch? Es war keine Schule und im Stall erwartete mich auch niemand mehr. Meine Mutter machte einen halbherzigen Versuch, mich zum Frühstück nach unten zu locken. Meine Geschwister lärmten im Haus. Cathrin wurde von einer Freundin abgeholt, wenig später verstummte Phils E-Gitarre, die er letztes Weihnachten bekommen hatte, und er verschwand mit seinem Kumpel Richtung Freibad. Für sie war alles wie immer. Sie konnten nicht verstehen, was für eine entsetzliche Leere in meinem Herzen herrschte.
    Der Vormittag verging. Draußen schien die Sonne ganz so, als ob alles in bester Ordnung wäre. Die schrecklichsten Dinge geschahen: Menschen starben, Flugzeuge stürzten ab, Kinder verhungerten und Pferde wurden verkauft – die blöde Sonne schien
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