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Chaos Erde

Chaos Erde

Titel: Chaos Erde
Autoren: John Brunner
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in vollem Umfang sanierungsfähiger »Pleiteplanet«, von dem die meisten Bewohner geflohen sind; Ironisierung des unabänderlichen Unvermögens der Bürokratie, in diesem Fall verkörpert durch den »Chefbürokraten« der Yelignesen, zur Problemlösung; ferner kompromißlose Verurteilung – und das ist der wohl ausgeprägteste Aspekt des Buchs – aller Religion, denn in der Zukunft wird Religiosität als Psychose eingestuft, sowie der Kirchen, Religionsgemeinschaften usw. als Zentren skrupelloser Geschäftemacherei. Damit macht Brunner klare Aussagen, mit denen er seinen ethischen Anschauungen die Treue hält. Die Grundidee, daß der Hauptcharakter des Romans, Rimpoche Quaddel (»Rimpoche« ist übrigens eigentlich kein Vorname, sondern im Tibetischen ein Ehrentitel für einen spirituell ganz besonders qualifizierten Lama und bedeutet wörtlich »Außerordentlich Kostbarer«), gegen seinen Willen sowohl nach dem Ableben eingefroren wie auch wider Willen abgetaut wird, persifliert recht originell die Kryonauten- und Schläfer-Thematik der Science Fiction, wie sie dem kundigen Leser aus einschlägigen utopischen und antiutopischen Werken geläufig ist, z.B. Edward Bellamys (1850-1898) Looking Backward, 2000-1887 (1888, dt. »Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 auf das Jahr 1887«, 1890), H. G. Wells’ (1866-1946) When the Sleeper Wakes (1899, dt. »Wenn der Schläfer erwacht«, 1906), Frederik Pohls (geb. 1919) The Age of the Pussyfoot (1969, dt. »Die Zeit der Katzenpfoten«, 1970), auch Anders Bodelsens (geb. 1937) Frysepunktet (1970, dt. »Brunos tiefgekühlte Tage«, 1971), oder Filmen wie Woody Allens »Der Schläfer« (Sleeper, USA 1973).
    Wie bei diesem Sujet üblich, erlebt der Revitalisierte in der Zukunft allerlei Abenteuer, begegnet insbesondere im Zweitleben der Traumfrau, die ihm das erste Leben vorenthielt. Tatsächlich weist »Chaos-Erde« insofern auch starke Ähnlichkeit mit Wells’ »Wenn der Schläfer erwacht« auf, als beide Auferstandene trotz im Schlaf erworbenen kolossalen Reichtums in ihrem zweiten Leben mit beträchtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben.
    Offensichtlich lag es in Brunners Intention, Tod und Auferstehung als Farce darzustellen. Dafür machte er wohl bewußt Anleihen bei der Art von burlesker Realsatire, wie sie die Veranstaltungen ländlicher Laientheater anläßlich der Passionsspiele bieten: er hintertreibt gleicherweise den Schrecken des Todes und die Schwärmerei der Apotheose, indem er sie zur sciencefictionistischen Groteske ummünzt und uns dadurch zu beidem ein befreiendes Schmunzeln der Geringschätzung ermöglicht. Das ist gewissermaßen eine moderne Form der Aufklärung.
    Auffällig ist, daß Brunner in der Gestalt Rimpoche Quaddels, wohl ohne es zu merken, geradezu einen Anti-Jesus konzipiert hat; denn Rimpoche Quaddel weigert sich, anders als Jesus, in zweifacher Hinsicht, Heilserwartungen zu erfüllen: er lehnt die ihm nahegelegte kryotechnische Konservation ab, während Jesus die ihm vorbestimmte Kreuzigung akzeptierte, und im Gegensatz zu Jesus, dem die Auferstehung von den Toten als Demonstration der Sinnerfüllung herhielt, wollte Rimpoche Quaddel lieber gar nicht wiedergeboren werden. Es fragt sich, welchen Inhalt und welche Form »Chaos-Erde« angenommen hätte, wäre Brunner sich über diese Konstellation im klaren gewesen. Eine Konfrontation zwischen dem Anti-Jesus Rimpoche Quaddel und einem geklonten After-Jesus der Zukunft hätte der Handlung ohne jeden Zweifel eine gänzlich andere Dimension verliehen.
    In der realisierten Fassung allerdings verschlägt Quaddels unfreiwillige »Auferstehung« ihn lediglich an Tummelplätze der Skurrilitäten. Dazu zählen Gourmet-Kannibalen, ein Mann mit Hälften zweier verschiedener Gehirne, eine Studentenreisegruppe, die sich selbst gegen Simulacren austauscht, Memofanten, ein interstellarer Hochstapler, eine versoffene Päpstin sowie diverse exotisch-amüsante Aliens. Szenerie, Personal und Handlung, oft gefährlich nah an der Klamotte, verdichten sich gleichwohl zu einer in der Logik der Abfolge etwas dubiosen, aber streckenweise durchaus belustigenden Ereigniskette, deren Wort-, Situations- und Slapstick-Komik der Roman seinen Unterhaltungswert verdankt. Dieses Mal brachte Brunner sogar die Souveränität auf – um nicht zu sagen, die Souveränizität –, seinen eigenen Hang zu Schachtelsätzen, der sich in den meisten seiner Bücher nachweisen läßt und bisweilen das Mißfallen mancher Leser fand, zu
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