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Catwalk in den Tod

Catwalk in den Tod

Titel: Catwalk in den Tod
Autoren: Michael Koglin
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der steigt die Treppen zu den Bahnsteigen hoch und passt auf, dass da keiner vor die Züge springt. Harte Zeiten diese Zeiten.
    »Euer Papa muss aber mächtig rumgekommen sein«, sag ich zu den Dreien. Die Kinder sehen mich erstaunt an, verstecken sich schüchtern hinter der Frau. Langsam drücken sie sich wieder hervor und quietschen vor Vergnügen. Auch die Frau lächelt und zieht die Schultern hoch.
    »No comprende«, sagt sie und lächelt immer weiter, wie eben nur jemand lächeln kann, dem schon in der Wiege die Sonnenstrahlen die Nase gekitzelt haben. Das macht aus dir einen ganz anderen Menschen. Aber ich seh gleich, da ist was in ihren Augen. Sie hat Angst. Sieht sich um, atmet heftig. Sie will die Kinder mit sich ziehen, doch die haben Gefallen an mir gefunden. Stehen wie angewurzelt vor mir, als wär ich das Wahrzeichen von Hamburg. Das geht natürlich zu weit. Was soll unser adrett angezogener Bürgermeister dazu sagen? Aber Gottseidank denk ich nicht so viel. Ich wühl lieber in meinem Omenmantel und finde ein Stück zusammengeknüllte Alufolie.
    »Ist ein Baby-Stern. Grad gestern vom Himmel gefallen«, sag ich und zeige zum Himmel.
    »Könnt ja mal versuchen, ihn heute Abend wieder hochzuwerfen.«
    Ich mach ihnen gleich vor, wie das funktioniert.
    Das Mädchen streckt ganz vorsichtig die linke Hand vor und hält die Kugel, als würde die sich gleich von allein auf die Suche nach seinem Sternenpapi und seiner Sternenmama machen. Sterne wie du und ich.
    Die Frau wühlt ein Geldstück aus ihrem Mantel und drückt es mir in die Hand. Klebt ein Fetzen Papier dran. Hat sie wohl aus Versehen abgerissen. Als sie mir das Geld reicht, sehe ich ihren Ring. Die Heilige Muttergottes mit dem kleinen Jesus im Arm.
    »Danke«, sag ich, »aber so ein Babystern ist unbezahlbar und kostet deshalb nichts.«
    Sie zuckt die Achseln. Ach ja, no comprende.
    Ich versuch's mit einem Lied. Und weil mir zu Sternen nichts anderes einfällt, singe ich: »Vom Himmel hoch, da komm ich her.« Passt zwar nicht in die Jahreszeit, ist aber schließlich so eine Art Wiegenlied für den Alu-Stern, den die Kleine da immer noch ganz, ganz vorsichtig auf ihrer Handfläche balanciert.
    Die Kleine reißt die Augen auf. Ihre hübsche Beschützerin sieht sich ängstlich um. Dann nickt sie lächelnd und zieht die Kinder mit sich fort.
    Ich stopfe das Geldstück und den Papierfetzen in die Tasche. Die Kinder hopsen rückwärts an der Hand ihrer Schwester davon. Oder ist sie das Kindermädchen? Omen, sag ich mir, das ist doch mal ne nette Familie. Wer sollte auch ahnen, dass die Frau mir gerade einen Auftrag in die Hand gedrückt hatte. Und bezahlt hat sie auch schon. Aber um nachzusehen, bin ich eben zu blöd. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich beobachtet werde. Ich spüre das. Wenn du auf der Straße lebst, springt dir irgendwann die dunkle Ahnung auf die Schulter und sorgt für Licht. Die Professoren, die an mir vorbeihuschen, würden es Intuition nennen. Ich nenne sie »So-Fort«. Jedenfalls kannst du »So-Fort« auf der Straße gut gebrauchen. Zum Überleben.
    Entdecken kann ich niemanden. Die Studenten hetzen die Treppen von der S-Bahn herunter und oben kreischen Zugbremsen. Im Fischladen werden Schillerlocken und geräucherte Makrelen eingepackt, zwei junge Männer suchen die richtige Stelle, um in ihren Döner zu beißen und vor dem Ticketschalter wartet geduldig die Bundesbahnschlange. Eine Horde Kinder stürmt zu McDonald’s rein. Alles ganz normal. Dabei tickt schon leise eine Zeitbombe. In meiner Tasche. Tick-Tack.
     
    *
     
    »Langsam anziehen«, ruft ein Polizist und winkt rüber zu dem Taucher, der seinen Kopf aus der Alster steckt. Erst ragt neben ihm ein Arm aus dem Wasser, dann ein kahler Kopf. Die Leute vor mir raunen und einer beginnt zu lachen. Ja, es geht jeder auf seine Weise mit dem Tod um.
    Ich wollte ja eigentlich nur meinen Abendspaziergang machen. Am amerikanischen Konsulat vorbei. Weil das immer so festlich ausgeleuchtet ist. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Außerdem: Bewegung muss sein, wenn man den ganzen Tag an einer Häuserwand steht und die Hand aufhält.
    Ein Polizist bückt sich, packt den Leichnam und schleift ihn über den Rasen. Das hab ich in den Fernsehern der Elektronikabteilung schon ganz anders gesehen. Von wegen Spurensicherung und so. Aber das hier ist keine neue Polizeitaktik, weil, die Leiche ist gar keine Leiche, sondern eine Schaufensterpuppe. Mit einem massiven Eisengestell da, wo sonst
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