Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Dame Koenig As Spion (Smiley Bd 5)
Vom Netzwerk:
jener vertraute Schatten, der nun endlich einen Namen
hatte, Smiley aus gutem Grund durch die nächtlichen Straßen von Kensington
gefolgt war.
     
    Inmitten
der Nacht unter klarem Himmel beim Mondenschein
     
    Während
der folgenden zwei Tage lebte George Smiley in einer Schattenwelt. Seine
Nachbarn fanden, wenn sie seiner ansichtig wurden, daß er einem zehrenden
Kummer verfallen sei. Er stand spät auf, trödelte im Schlafrock im Haus herum,
machte sauber, wischte Staub, kochte sich Mahlzeiten, die er nicht aß. Am Nachmittag
zündete er völlig gegen die ungeschriebenen Gesetze seiner Umgebung ein
Kohlenfeuer an, setzte sich davor und las seine deutschen Dichter oder schrieb
Briefe an Ann, die er selten vollendete und niemals zur Post gab. Wenn das
Telefon klingelte, lief er rasch hin, nur um jedesmal enttäuscht zu werden.
Draußen war das Wetter nach wie vor miserabel, und die wenigen Passanten -
Smiley beobachtete sie ständig — waren vermummt wie arme Leute vom Balkan.
Einmal rief Lacon an und übermittelte eine Bitte des Ministers, Smiley solle
»mithelfen, den Stall im Cambridge Circus auszumisten, wenn eine solche Aufforderung
erginge«, in Wahrheit den Nachtwächter spielen, bis ein Ersatz für Percy
Alleline gefunden wäre. Smiley antwortete ausweichend und legte Lacon nochmals
ans Herz, er solle mit äußerster Umsicht über Haydons körperliche Sicherheit
während des Aufenthalts in Sarratt wachen.
    »Dramatisieren
Sie nicht ein bißchen?« meinte Lacon. »Der einzige Platz auf der Welt, wohin
er gehen kann, ist Rußland, und dorthin schicken wir ihn ohnedies.«
    »Wann? Wie
bald?«
    Die
Ausarbeitung der Einzelheiten würden noch ein paar Tage in Anspruch nehmen.
Smiley verschmähte es in seiner Erschlaffung nach einem Zustand der
Hochspannung zu fragen, ob es mit dem Verhör vorangehe, aber Lacons Verhalten
legte nahe, daß die Antwort schlecht gewesen wäre. Mendel brachte ihm handfestere
Kost.
    »Der
Bahnhof Immingham ist geschlossen«, sagte er. »Sie werden in Grimsby aussteigen
und auf Schusters Rappen laufen oder einen Bus nehmen müssen.«
    Häufig saß
Mendel einfach da und beobachtete ihn wie einen Kranken. »Das Warten bringt sie
nicht zurück, oder?« sagte er. »Früher mal ging der Berg zu Mohammed. Ein
zaghaft Herz hat nie die Schönste heimgeführt, wenn ich so sagen darf.« Am
Morgen des dritten Tages klingelte es an der Tür, und Smiley ging so schnell
öffnen, als könne es nur Ann sein, die wie üblich ihren Schlüssel verlegt
hatte. Es war Lacon. Smiley werde in Sarratt benötigt, sagte er; Haydon
bestehe darauf, mit ihm zu sprechen. Die Inquisitoren hatten nichts erreicht,
und die Zeit wurde knapp. Man war sich darüber einig, wenn Smiley als
Beichtvater fungierte, würde Haydon ein Teilbekenntnis ablegen. »Es wurde mir
versichert, daß kein Zwang ausgeübt wurde«, sagte Lacon.
    Sarratt
war ein trüber Anblick nach dem Glanz, an den Smiley sich erinnerte. Die
meisten Ulmen waren dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen; Lichtmaste waren aus
dem alten Kricketplatz hochgeschossen. Auch das Haus selber, ein weitläufiges,
aus Ziegeln erbautes Herrenhaus, war seit der Blütezeit des Kalten Krieges in
Europa sehr heruntergekommen, und der größte Teil des besseren Mobiliars schien
verschwunden zu sein, er vermutete, in eines von Allelines Häusern. Er fand
Haydon in einer Nissenhütte, die unter Bäumen versteckt war.
    Drinnen
herrschte der Mief einer Wachstube, die Wände waren schwarz bemalt und die
hochgelegenen Fenster vergittert. In den Zimmern zu beiden Seiten waren
Wachmannschaften, und sie empfingen Smiley respektvoll und nannten ihn Sir.
Offenbar hatte sich einiges herumgesprochen.
    Er trug
einen Drillichanzug, zitterte und klagte über Schwindel. Mehrmals mußte er sich
aufs Bett legen, um das Nasenbluten zu stillen. Ihm war so etwas wie ein Bart
gewachsen: anscheinend herrschte Uneinigkeit darüber, ob er ein Rasiermesser
bekommen dürfe. »Kopf hoch«, sagte Smiley. »Bald sind Sie hier weg.« Auf der
Fahrt hierher hatte er versucht, an Prideaux und Irina und an die tschechischen
Netze zu denken, und er hatte sogar Haydons Zimmer noch mit einem vagen Gefühl
öffentlicher Verantwortung betreten: irgendwie, dachte er, müßte er ihn im
Namen aller Rechtlichdenkenden verurteilen. Statt dessen kam er sich ziemlich
schüchtern vor; er spürte, daß er Haydon überhaupt nie gekannt hatte, und
jetzt war es zu spät. Er ärgerte sich auch über Haydons körperlichen Zustand,
aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher