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Carlottas Kerker

Carlottas Kerker

Titel: Carlottas Kerker
Autoren: Jason Dark
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nicht, ob der Mann mich entdeckt hatte, denn eine derartige Maske engt auch das Sichtfeld ein.
    Mit halblauter Stimme sagte ich: »Bleiben Sie ganz ruhig, ich hole Sie da weg...«
    ***
    Ich hatte mir nicht vorher überlegen können, ob ich die richtigen oder die falschen Worte gewählt hatte. Zudem kannte ich den Typ nicht, aber ich erlebte seine Reaktion, denn plötzlich schrie er auf. Sein Kopf zuckte nach links, er wollte mich anschauen, doch ich starrte nur gegen seine Maske. Da sie verrutscht war, wurde ich wahrscheinlich nur aus einem Auge angestarrt, und einen Atemzug später hörte ich wieder den wilden Schrei. Diesmal lauter, wütender, und als der Schrei verstummte, brüllte mich der Kerl an.
    »Hau ab!«
    »Nein!«
    Der Mann rutschte weg und dem Dachende entgegen. Es war klar, was er vorhatte. Fliegen konnte er bestimmt nicht. Er war innerlich so zerrissen, dass er sich in die Tiefe stürzen wollte.
    Einen Fall aus dieser Höhe zu überleben war schon mehr Glück, und als Zeugen wollten wir ihn auf keinen Fall verlieren.
    Er rutschte, und ich stemmte mich hoch, kippte meinen Oberkörper nach vorn, hörte hinter mir Purdy’s erschreckte Frage und rief nur: »Haltet mich an den Beinen fest!«
    Dann ließ ich mich fallen.
    Kopfüber glitt ich aus dem Fenster. Die Arme hatte ich ausgestreckt und verließ mich in diesen Augenblicken ausschließlich auf meine Freunde. Wenn sie nicht Zugriffen, war alles vorbei. Dann würde ich über das Dach hinweggleiten und selbst abstürzen.
    Zwei Hände fassten in Höhe der Knöchel zu. Sie schoben mich sogar noch ein Stück ins Freie, damit ich mit meinen Händen den Mann erreichen konnte.
    Es klappte, aber ich bekam ihn nur an seiner grauen Jacke zu fassen. Zudem fing er an zu strampeln, er schrie auch wieder. Die Schreie stachen gellend in meine Ohren, doch darum kümmerte ich mich nicht. Mit der linken Hand gelang es mir, nach der Schulter zu fassen.
    Dann zerrte ich die Gestalt hoch. Das hört sich einfacher an, als es war, denn der Mann setzte mir einen harten Widerstand entgegen. Es schien, als wollte er sich unbedingt in den Tod stürzen, weil ihm das Leben nichts mehr brachte.
    Nicht mit mir!
    Es reichte ihm auch nicht, dass er sich mit der rechten Hand an einer etwas hochstehenden Dachpfanne festhielt. Sie gab ihm nicht den Halt, den er brauchte. Zudem war die Pfanne zu locker in ihrem Verbund, und so riss er sie ganz weg.
    Er schrie vor Schreck auf. Die Dachpfanne rutschte über den Rest der Schräge und war wenig später aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich hörte sie unten nicht mal aufschlagen und konnte nur hoffen, dass sie keinen Menschen getroffen hatte.
    Der Mann mit der Maske erlebte mehrere Schrecksekunden hintereinander. Deshalb war er auch nicht mehr in der Lage, zu reagieren. Er versteifte sich, und ich nutzte die Chance. Auch wenn es mich verdammt viel Kraft kostete, zog ich ihn die Schräge hoch auf das Fenster zu und drehte ihn dabei so herum, dass er mit den Füßen zuerst durch die Fensteröffnung gleiten würde.
    Ich brauchte ihn nicht mehr allein zu ziehen. Suko hatte sich bereits nach unten gebückt, um mir zu helfen.
    Der Rest war ein Kinderspiel. Wir zogen den Mann in das Zimmer, wo er auf der Stelle zusammenbrach und unter dem Fenster liegen blieb.
    »Das war’s«, sagte ich und massierte meine Oberarme.
    Purdy schaute den Mann an. Die Maske war auch jetzt nicht von seinem Gesicht gerutscht. Sie saß nur weiterhin schief, sodass er nicht mehr gefährlich wirkte, sondern lächerlich. Seine Waffe sah ich jetzt auch. Sie lag unter dem Tisch, der vor einem Waschbecken stand und wahrscheinlich dort hingeschoben worden war.
    Der Mann schrie nicht mehr. Er war aber auch nicht ruhig. Er wimmerte leise vor sich hin und wirkte wie ein Häufchen Elend.
    Purdy kümmerte sich um ihn. Zuerst nahm sie ihm die Maske ab, und wir konnten endlich sein Gesicht sehen.
    Angst! Ja, es war die Angst, die ihn beherrschte, und das malte sich auf seinen Zügen ab. Sein Gesicht sah aus, als wären wir Monster, die auf ihn niederblickten.
    Ansonsten war er ein Mann um die vierzig. Er hatte schütteres braunes Haar, das schweißverklebt auf seinem Kopf lag, und dicke feuchte Lippen.
    »Sie brauchen sich nicht mehr zu fürchten«, sagte Purdy Prentiss mit leiser Stimme. Dabei reichte sie ihm die Hand. Es war eine normale und hilfreiche Geste, die der Mann allerdings nicht akzeptieren wollte; er schüttelte heftig den Kopf.
    »Bitte, wir wollen Ihnen nichts
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