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Caras Schatten

Caras Schatten

Titel: Caras Schatten
Autoren: Elizabeth Woods
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Bauch.
    Ein Stapel Briefe lag in der Nähe des Türschlitzes am Boden. Cara knipste das Licht an und warf die Post in den ohnehin schon überquellenden Ablagekorb auf dem Tisch. Der Rest der Tischplatte verschwand unter einer wirren Ansammlung von Sonnenbrillen, Schüsseln voller Kleingeld und einem Stapel Weihnachtskarten von vor neun Monaten, die mit einer dicken Staubschicht bedeckt waren.
    »Mom?«, rief Cara und schlenderte in die Küche. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages drangen durch die Fenster und verwandelten das dreckige Geschirr auf der Arbeitsplatte in eine Art Stillleben. Tagealte Zeitungen und juristische Fachzeitschriften türmten sich auf der marmornen Ablagefläche. Am Küchentisch klebte eine Haftnotiz.
    Car. Hab heute Abend eine Verhandlung. Suppe ist im Crock-Pot. Hab dich lieb! Mom.
    Cara hob den Deckel des elektrischen Kochtopfs an und erspähte rohes Fleisch und Gemüse. Ihre Mutter hatte mal wieder vergessen, das Gerät einzuschalten. Cara wunderte sich nicht – ihre Eltern waren beide Anwälte und hatten schon immer viel gearbeitet, selbst als sie noch klein war. Sie hatte fast ihre ganze Kindheit in der Obhut eines Babysitters oder Kindermädchens verbracht. Allerdings hatte es nach ihrem Umzug in der fünften Klasse eine Zeit gegeben, in der sie eine richtige Familie gewesen waren. Insgeheim nannte Cara dies ihre »gute Zeit«. Sie hatten zusammen die Einkäufe erledigt, waren am Wochenende weggefahren und hatten sich am Abendbrottisch sogar richtig gut unterhalten. Aber als Cara auf die Highschool kam, hatten ihre Eltern wieder angefangen, mehr zu arbeiten, und ihre »gute Zeit« ging langsam, aber sicher zu Ende, so als wäre der Zauber verblasst. Jetzt arbeiteten beide wieder über siebzig Stunden die Woche, genau wie damals, als Cara noch klein war.
    Sie hatte sich an die Stille im Haus gewöhnt, und heute Abend war sie sogar froh, mit niemandem reden zu müssen. Es war so ruhig, dass Cara hören konnte, wie die Heizung an- und aussprang. Erschöpft warf sie ihre Schultasche auf einen der antiken Holzstühle und sank am Küchentisch in sich zusammen. Sie stützte die Arme auf ihre verschwitzten Oberschenkel und ließ ihre Hände zwischen den Beinen herabbaumeln. Ihr Kopf hämmerte.
    Cara blickte auf, als sie einen Schlüssel in der Haustür hörte. Es folgte ein Rascheln und das Klappern hoher Absätze. Im nächsten Moment kam ihre Mutter in die Küche gerauscht, Burberry Trenchcoat über dem Arm, ihr graues Haar zu einem zerzausten Knoten hochgesteckt. Die Lesebrille steckte ihr im Haar, und ihre Augen waren umrahmt von dunklen Schatten. Sie stellte ihre vollgestopfte Krokodilledertasche an der Tür ab und fuhr erschrocken zusammen, als sie ihre Tochter im Halbdunkel der Küche bemerkte. »Oh! Cara, ich wusste gar nicht, dass du schon zu Hause bist.«
    »Ich dachte, du kommst heute später.« Cara stand schwerfällig auf und ging zum Kühlschrank. Sie öffnete die Tür und ließ sich von dem kühlen weißen Licht anstrahlen.
    »Ich bin ausnahmsweise mal früher vom Gericht weggekommen. Kaum zu glauben, was?« Ihre Mutter strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Richter Haney wollte uns eigentlich noch länger dabehalten, aber dann hat sich der Klient der Gegenseite nicht blicken lassen, also hab ich gesagt …« Sie unterbrach sich, als Samson maunzend in den Raum spaziert kam und sich um ihre Beine schlang. »Hey, Süßer!«, säuselte sie. Sie nahm den Kater auf den Arm und gab ihm einen Kuss auf die Schnauze.
    Cara schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, stellte ihre Mutter gerade ein Schälchen Katzenfutter auf den Boden. Samson setzte sich und fiel schmatzend darüber her, während Mom sich daneben hockte, um ihm den Rücken zu streicheln und sanft mit ihm zu reden. Sie lächelte zärtlich. Leise ging Cara zur Tür. Vielleicht konnte sie sich unbemerkt in ihr Zimmer schleichen. Sie musste nur die Tür hinter sich schließen und …
    »Cara!« Ihre Mutter blickte auf. »Wo willst du denn hin?« Sie stand auf und warf einen prüfenden Blick in das Gesicht ihrer Tochter. »Liebling, du siehst blass aus. Hattest du einen harten Tag?« Sie strich Cara mit den Fingern über die Stirn.
    Cara wich vor der irritierend sanften Geste zurück. »Alles bestens«, erwiderte sie möglichst ruhig und nahm eine Dose Cola Light aus dem Kühlschrank. »Das Training war ziemlich anstrengend.« Cara zwang sich, ihrer Mutter in die Augen zu blicken, ohne etwas preiszugeben. Sie
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