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Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Iris Radisch
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Arzt unterhält. Der anschließende einsame Aufenthalt in Prag verläuft so verzweiflungsvoll, dass Camus für immer einen unüberwindlichen Abscheu vor Mitteleuropa kultivieren wird.
    Nach seiner Rückkehr lebt er allein, bewohnt vorübergehend ein kleines Zimmer am Boulevard Saint-Saëns, in dem sich außer seinen Bücherstapeln auf dem Boden nichts als ein großer Schrankkoffer befindet, der ihm als Bett dient. Zwischendurch nächtigt er in der Villa reicher Freundinnen, einem hoch gelegenen «Haus vor der Welt», wie Camus diese luxuriöse Immobilie tauft, die ihren Bewohnern von der weitläufigen Terrasse den immer wieder atemberaubenden Blick über die sonnenbeglänzte Mittelmeerküste freigibt.
    [Bild vergrößern]
    Die algerische Küste
    Im September  1937 wird Camus wegen «Trotzkismus» aus der Partei ausgeschlossen. Seine Mitgliedschaft währte am Ende 24  Monate, seine Ehe 26  Monate – mit 23  Jahren liegen eine schwere Krankheit, eine Ehe und eine aussichtslose Parteikarriere hinter ihm. An Fréminville schreibt er: «Im Grunde, ganz auf dem Grund dieses Lebens, das uns alle verführt, gibt es nur Absurdität, nichts als Absurdität». [49] In dieser Lage beginnt Camus einen Roman zu schreiben und nennt ihn
Der glückliche Tod
.

4. Kapitel Das Meer
    Ort und Zeit:
Algier 1936 . Maison de la Culture 1937 . Salle Padovani 1937 . Das Haus über der Welt 1937 .
    Im Camus’schen Kosmos bedeutet das Mittelmeer ein Lebensklima, eine Art zu denken, miteinander umzugehen und in der Welt zu sein. «Mittelmeer» heißt auch das einzige erhaltene Gedicht. Er schrieb es mit 19  Jahren in einem ungelenken Pathos – und es enthält doch beinahe alles, was der Pariser Starphilosoph Camus in den fünfziger Jahren in seinem essayistischen Hauptwerk
Der Mensch in der Revolte
im entscheidenden Schlusskapitel «Das mittelmeerische Denken» gegen die Kultur Europas aufbieten wird. Es beginnt so:
    «Im leeren Blick der Scheiben lacht der Morgen
    mit all seinen glänzenden blauen, gelben und roten Zähnen,
    auf den Balkonen wiegen sich die Vorhänge.
    Junge Mädchen mit nackten Armen hängen Wäsche auf.
    Ein Mann, am Fenster, hält die Brille in der Hand.
     
    Klarer Morgen auf dem Glanz des Meeres,
    lateinische Perle in deinem Lilienschimmer:
    Mittelmeer.
     
    Mittag auf dem heißen, unbewegten Meer:
    nimmt mich ohne Schrei: eine Stille und ein Lächeln.
    Lateinischer Geist, Altertum, ein Vorhang der Scham bedeckt den gequälten Schrei!
    Lateinisches Leben, das seine Grenzen kannte,
    vorbildliche Vergangenheit, oh! Mittelmeer!» [66]
    In diesem Stil geht es einige Strophen lang weiter. Das Gedicht ist aus guten Gründen noch nie ins Deutsche übersetzt worden, interessant ist es dennoch. Es gibt einen Eindruck von der Begeisterung, mit welcher Camus die mediterrane Ideologie aufsog, die am Ende der zwanziger Jahre in Algier nicht allein die Studenten beschäftigte, die Aufsätze in Zeitschriften mit Namen wie «Sud», «Rivages» oder «Jeune Méditerranée» veröffentlichten und die ersten Bände von Fernand Braudels Hauptwerk
Das Mittelmeer
lasen. Auch auf der großen politischen Bühne spielte die Mittelmeereuphorie eine wichtige, zum Teil zwielichtige Rolle.
    In dem selben Jahr, in dem Camus seine Schülerverse verfasst, setzt der französische Erziehungsminister Anatole de Monzie gerade die Gründung eines staatlichen «Centre Universitaire Méditerranéen» in Nizza durch, zu dessen Leiter der Dichter Paul Valéry ernannt wird.
    Das Mittelmeerzentrum ist ein kulturdiplomatischer Baustein in einem umfassenden politischen Manöver. Die Hoffnung, die der Quai d’Orsay mit seiner seit 1933 forcierten Mittelmeerpolitik verbindet, ist die Neutralisierung Deutschlands durch ein mediterranes Bündnis zwischen dem faschistischen Italien und Frankreich. Paul Valéry wird 1933 zu diesem Zweck im Regierungsauftrag auf eine ausgedehnte Mittelmeertournee geschickt. In Rom empfängt ihn Benito Mussolini wie einen Nationalhelden. Valéry macht Konversation, erkundigt sich nach dem inhaftierten Antonio Gramsci und besucht in Begleitung des Diktators eine Ausstellung zum Ruhme des italienischen Faschismus.
    In Zusammenarbeit mit dem französischen Erziehungsministerium und dem in Marseille ansässigen Herausgeber der einflussreichen Zeitschrift
Cahiers du Sud
, Jean Ballard, entwirft Valéry im Rahmen dieser heiklen politischen Mission Thesen über die Zivilisation des Mittelmeerraumes und deren Einfluss auf den
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