Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Iris Radisch
Vom Netzwerk:
Optimismus» abzustreifen, um in einen Zustand einzutreten, in dem der Mensch den «Sinn für das Ewige wiederfinden» könne. [47]
    Nun gehört die Beförderung von Spiritualität und Ewigkeitsglauben nicht gerade zum genuinen Aufgabenbereich einer kommunistischen Partei. Über Kernziele der KP wie die Verstaatlichung der Wirtschaft oder die Diktatur des Proletariats fällt kein Wort. Vermutlich zählt der junge Genosse die klassischen Parteidoktrinen zu jenen «Maßlosigkeiten des Kommunismus», die, wie er aus Tipasa schreibt, «mit ein paar Missverständnissen zusammenhängen, die man ohne weiteres beheben» könne. In jedem Fall weigere er sich, «zwischen den Menschen und das Leben einen Band des ‹Kapitals› zu stellen». Eine Gefahr, die allemal nicht besteht, denn Camus hat dieses Grundlagenwerk von Karl Marx damals weder besessen noch gelesen. Insgesamt ist er zuversichtlich, sich Ideen verschrieben zu haben, die ihn «zurückführen zu seiner Herkunft, zu seinen Kindheitsfreuden, zu allem, was seine Empfindsamkeit» ausmache. Die Zweifel, die ihm bleiben, versteckt er in seinem Bekenntnisbrief an den Ratgeber Grenier in einer Parenthese. Es gebe ja noch vieles einzuwenden gegen den Kommunismus, schreibt das KP -Mitglied, zum Beispiel – Klammer auf – der «falsche Rationalismus», die «Illusion vom Fortschritt», der «Klassenkampf» und der «historische Materialismus», die alle im «Glück und im Triumph der Arbeiterklasse» gipfeln sollen – Klammer zu. Es ist abzusehen, dass sich diese Bedenken nicht ohne weiteres beheben lassen werden.
    Für eine Weile kann dieser Anhänger eines spirituellen Kommunismus in der Partei überleben. Er beabsichtigt, eine «Metaphysik des Marxismus» zu schreiben, hält Reden, engagiert sich als Generalsekretär im Kulturhaus, gründet ein Arbeitertheater, unterrichtet in der neuen Volksuniversität und hält vor Arbeitern Vorträge über Freud. Der Kommunismus der Seele, wie er ihn versteht, ist ein Kampf um Ideen, nicht um Macht. Seine Vorbilder sind Nietzsche und Gramsci, nicht Marx und Engels.
    Der kommunistischen Partei Algeriens gehören zu Beginn der dreißiger Jahre Beamte, Lehrer, Eisenbahner, Behörden- und Postangestellte aus dem französischen Kleinbürgertum an. Camus engagiert sich in der Friedensorganisation Amsterdam-Pleyel und wird der kommunistischen Zelle der Rue Michelet in Belcourt zugeteilt. Hier sammelt die Partei die intellektuellen Neuzugänge, hier trifft er auf Maler, auf von Le Corbusier inspirierte Architekten und höhere Töchter aus der Oraner Oberschicht. Sie alle sitzen im Saal, als André Malraux 1935 Algier besucht, um die junge Intelligenz in einem mitreißenden Vortrag zur Wachsamkeit gegenüber der faschistischen Gefahr aus Europa aufzurufen.
    Zur Zeit seines Eintritts ist die kommunistische Partei antikolonialistisch, pazifistisch und antifaschistisch. Die Gruppe um Camus unterstützt den Vorstoß des Gouverneurs Maurice Viollette, zumindest der muslimischen Elite in Algerien französische Staatsbürgerschaftsrechte einzuräumen. Camus erhält den Parteiauftrag, neue Mitglieder in der arabischen Bevölkerung zu werben. Gemeinsam mit Claude de Fréminville möchte er eine französisch-arabische Zeitschrift herausgeben. Der Freund kauft schon eine Druckerpresse. Doch der kurze Traum von einem mediterranen frankomuselmanischen Kommunismus nach menschlichem Maß zerplatzt, bevor er begonnen hat.
    Mit der aufziehenden Kriegsgefahr ändern sich die Parteidirektiven. Der Antikolonialismus weicht einem neuen Nationalismus, der Pazifismus dem Militarismus. 1936 veröffentlicht André Gide nach der Rückkehr von einer Reise in die UdSSR seine Abrechnung mit dem kommunistischen Regime
Zurück aus Sowjet
-
Russland
, die ihre Wirkung auf Camus und seine Freunde nicht verfehlt. Im Tagebuch notiert er im März  1936 : «Sollen wir uns einem Ideal von Gerechtigkeit zuliebe mit Absurditäten einverstanden erklären? Man kann diese Frage mit ja beantworten – wunderbar! Mit nein – ehrlich!» [48]
    Kurze Zeit später endet Camus’ Ehe: Im Sommer  1936 reist das Paar nach Europa, nach Frankreich, das Camus nur aus Büchern kennt. Er zeigt sich hinlänglich entsetzt, überall begegnen ihm mittelmäßige Gesichter. Die Reiseroute führt über die Schweiz, Deutschland und Österreich nach Prag und weiter nach Italien. In Salzburg fängt der Ehemann einen an seine Frau gerichteten Brief ab und erfährt von der Liaison, die sie mit ihrem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher