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Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Iris Radisch
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Gerüchen der Erde, er singt von der Liebe und der Freude, die vom Himmel aufs Meer niedergehen, er wirft sich in die Wermutbüsche, atmet ihren Duft.
    Im Tagebuch des Jahres  1938 findet man eine geheimnisvolle Notiz zu
Noces
: «Es ist die Aufgabe des Menschen, den großen, von den Göttern verlassenen Tempel mit unbenennbaren Idolen nach seinem Bilde zu bevölkern: diese ungeheuerlichen Idole der Freude, Antlitz der Liebe und tönerne Füße». [32] Es ist die Aufgabe des Menschen – so schreibt Camus in diesen Jahren gern.
    Mit diesen Essays meldet Camus zum ersten Mal den Anspruch an, im Gespräch der Geister über die letzten Dinge auf den vorderen Plätzen mitzureden. Er spricht vom Tod, von der Hoffnung, von der Angst, von der Wahrheit, der Wollust und der Askese, von der Heimat der Seele, dem Evangelium aus Stein, Himmel und Wasser. Betrachtet man ihn auf Fotografien aus dieser Zeit, wie er da steht in Tipasa, neben den Freundinnen, abgemagert und bleich, in heiteren Posen, möchte man ihm zustimmen, wenn er schreibt: «Ich aber weiß hier und jetzt, dass ich nie nahe genug an die Dinge der Welt herankommen werde.» [33]

Unterm höchsten Sonnenstand
    Alle Romane und Erzählungen Camus’ – alle bis auf
Der Fall
und
Jonas oder Der Künstler bei der Arbeit
 – sind Sommerbücher. Sie sind durchflutet vom Licht und elektrisiert von der Hitze des Mittags, der nie zu enden scheint. Sie sind geschrieben unterm höchsten Sonnenstand, in dem die Dinge keine Schatten werfen und mit sich allein sind.
    Die algerische Sonne blendet den
Fremden
, als er am Strand von Algier auf einen Araber schießt. Die Helden der
Pest
erleben am algerischen Strand ihre einzigen glücklichen Augenblicke. Die schwarz glühende Sonne, das leuchtend blaue Meer, der rote Stein, die brütende Stille, der hohe Sommer und der heiße Staub seiner Heimat sind die bedeutendsten Helden seiner Bücher. Unverständlicherweise wird Camus dennoch in der Literaturgeschichte überwiegend als französischer Autor geführt, als Pariser Starautor und Held des Quartier Latin. Es wird Zeit, sich dem algerischen Camus zuzuwenden. [34]
     
    Algerien ist in seinem Geburtsjahr, 1913 , ein zerrissenes Land; 83  Jahre zuvor war es militärisch besetzt, 65  Jahre zuvor zu einem französischen Departement erklärt worden. Die eingeborene Bevölkerung unterliegt einer anderen Gerichtsbarkeit als die französischen Besatzer, ihre Muttersprache wurde zur Fremdsprache erklärt.
    Obwohl Camus’ Familie von den Enteignungen und der Ausbeutung der Algerier nicht unmittelbar profitiert, lebt sie, wie alle anderen Franzosen in Algerien, im geschlossenen System einer kolonialen Parallelwelt, die sich gegen die Einheimischen abschottet.
    Die Araber sind für Camus’ Alter Ego Jacques Cormery in seinem hinterlassenen Roman
Der erste Mensch
ein «beunruhigend nahes und abgesondertes Volk um ihn herum», das sich abends in seine «unbekannten Häuser zurückzog» und dort mit seinen «Frauen verbarrikadierte, die man nie sah», das in anderen Stadtvierteln «zusammengeballt» hauste und durch seine «bloße Zahl eine unsichtbare Bedrohung verbreitete». [35] In Camus’ Romanen und Erzählungen haben Araber kein Gesicht und keine Eigennamen, sie heißen «der Araber» und werden erschossen, verhaftet oder stehen zusammengeballt und bedrohlich auf der Straße.
    Algerien bezeichnet Camus als ein Land «ohne Vergangenheit, ohne Moral, ohne Vorschrift, ohne Religion» [36] . Seine Bewohner nennt er «ein geistloses Volk». [37] Das Land habe keine «Überlieferung» und keine eigenen «Mythen» – jedenfalls keine abendländischen. Das klingt empörend. Doch liegt er damit nicht ganz falsch.
    Schon 1913 ist die alte maghrebinische Kultur weitgehend vernichtet. Dennoch prägt auch die traditionalistische, auf Subsistenzwirtschaft beruhende Lebensweise der algerischen Urbewohner – oder das, was Camus sich darunter vorstellt – noch in ihrem Untergang sein Bild von einem glücklichen Leben. Im Armenviertel von Algier ist er ihr hier und da begegnet. Camus’ Familiengeschichte legt überdies nahe, dass nach dem hundertjährigen Zusammenleben eine Assimilation auch in die umgekehrte Richtung wirksam wurde und die ärmsten Kolonisten sich der Mentalität der orientalischen Mehrheit angepasst hatten. Camus hält die algerische Ursprungskultur jedenfalls für die heimlich überlegene. Und der Algerien-Forscher Pierre Bourdieu bestätigt seine schmeichelhafte Darstellung
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