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Callboys - Die Schönen der Nacht

Callboys - Die Schönen der Nacht

Titel: Callboys - Die Schönen der Nacht
Autoren: M Hart
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man sich erinnert, dessen Namen man aber vergessen hat. Er reagierte nicht auf mich. Ich reagierte nicht auf ihn. Wir taten, als hätten wir uns niemals gekannt, schon als wir hinsahen und wieder wegsahen, als würden wir uns verbrennen, wenn wir den anderen anschauten.
    Wir hatten miteinander getanzt, zusammen gegessen und waren gemeinsam ins Kino gegangen. Wir waren nackt gewesen und hatten gemeinsam geschwitzt. Ich kannte den Geschmack seiner Haut und den Ausdruck seines Gesichts, wenn er in mir kam, und ich wusste, wie es sich anfühlte, wenn er mit der Hand durch mein vom Sex zerzaustes Haar strich.
    Wir wussten all das, und doch schauten wir hin und rasch wieder weg.
    Ich versuchte verzweifelt, mich auf mein Buch zu konzentrieren, aber die Geschichte war für mich vergiftet. Ich konnte nicht über ein Liebespaar lesen, das den Weg in die Arme des anderen fand. Ich blinzelte heftig, denn die kleinen schwarzen Buchstaben schwammen boshaft im Meer der weißen Seiten und weigerten sich, Wörter zu bilden, die ich lesen konnte.
    Als Nächste kam Melanie an den Tisch, um aus ihrer Wasserflasche zu trinken. Sie plapperte drauflos, und ich reagierte mit einem Nicken und einem verkrampften Lächeln. Sie schlängelte sich auf ihren Stuhl und erzählte mir von dem Puppenspiel, das sie zusammen mit einem anderen Mädchen einübte.
    „Ich muss auf die Toilette. Du und Simon, ihr bleibt auf dem Spielplatz und geht nirgendwo anders hin.“ Ich versuchte, nicht erstickt zu klingen, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie ich das machen sollte.
    „Okay“, erwiderte sie fröhlich, bevor sie zurück zu ihrem Puppenspiel lief.
    In dem mit grellen Dschungelmotiven bemalten Waschraum spritzte ich mir wieder und wieder Wasser auf die Wangen, ohne mich darum zu kümmern, dass ich mir den Lippenstift abwusch. Ich wischte mein Gesicht mit Papierhandtüchern ab und starrte mich im Spiegel an. Meine Wangen glühten immer noch rosig. Meine Augen glänzten zu stark, sodass mein Blick wirr und wild wirkte, also blinzelte ich wieder und wieder, bis es mir gelang, sanft und milde dreinzuschauen. Ich war noch nicht bereit, den Waschraum zu verlassen, aber ich durfte die Verantwortung für meine Nichte und meinen Neffen nicht vergessen, also schob ich die Schwingtür zum Gang auf.
    Dort stand er.
    Am anderen Ende der Halle konnte ich das Spielgelände sehen, wimmelnd von Kindern, von denen zwei zu mir gehörten. Ich sah meinen Tisch und mein Buch, das ich nachlässig gegen den Serviettenhalter gelehnt hatte. Und durch die Glasscheiben an der Vorderfront des Mocha Madnes s sah ich eine schlanke blonde Frau, die einen kleinen Jungen an der Hand hielt, während sie über die Bordsteinkante zum Parkplatz stieg.
    Eine ewig lange Sekunde schauten Sam und ich einander an, bevor etwas in mir zum Leben erwachte und ich ein strahlendes Lächeln auf meine Lippen zwang, von dem mein ganzes Gesicht schmerzte. „Hi.“
    „Hi, Grace.“ Sam wirkte zögerlich, aber dieses Mal wandte er den Blick nicht ab. „Wie ist es dir ergangen?“
    „Gut. Und dir?“ Der Flur vor den Toiletten war nicht der beste Ort für ein Wiedersehen, aber es war der einzige Ort, den wir hatten.
    „Gut. Bestens.“ Er nickte.
    Ich hatte gedacht, so zu tun, als wären wir Fremde füreinander, sei schlimm, aber so zu tun, als würden wir einander nichts bedeuten, war noch schlimmer. Denn selbst wenn ich ihm nichts bedeutete, bedeutete er mir doch immer noch viel. Mein Lächeln verwandelte sich in ein Stirnrunzeln, und auch Sam legte das Gesicht in Falten.
    „Hey …“
    Ich wedelte mit der Hand. „Pst.“
    Wir standen da und starrten den schmalen Flur entlang, in dem es nach Chemikalien stank und wo das Geschrei aufgedrehter Kinder rings um uns widerhallte. Es kostete ihn nur einen Schritt, dann legte er den Arm um mich und zog mich an sich, sodass mein Gesicht an seiner Schulter lag. Mein Körper wurde starr, meine Augen schlossen sich.
    Es hat sich nichts geändert , dachte ich, während ich einen tiefen, tiefen Atemzug nahm. Es ist immer noch so, wie es immer war.
    Er roch noch genauso. Es fühlte sich für mich genauso an, als ich ihn so dicht bei mir spürte, sein Atem zärtlich an meinem Ohr entlangstrich und das Gewicht seiner Hand auf meinem Rücken lag. Seine Knie stießen gegen meine. Es war immer noch genauso. Alles und nichts. So viel, das gesagt werden musste. So viel, das nicht gesagt werden konnte, alles enthalten in der lässigen Berührung zweier Knie und dem Duft
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