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Byrne & Balzano 1: Crucifix

Byrne & Balzano 1: Crucifix

Titel: Byrne & Balzano 1: Crucifix
Autoren: Richard Montanari
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Hetzkampagne schließlich mit einem Profil des Mannes, der Morris Blanchard einst geworden wäre: eine Mischung aus Albert Einstein, Robert Frost und Jonas Salk, wenn man ihm Glauben schenken konnte.
    Vor dem Blanchard-Fall hatte Byrne öfter ernsthaft darüber nachgedacht, nach zwanzig Jahren den Hut zu nehmen, nach Myrtle Beach zu ziehen und seinen eigenen Sicherheitsdienst zu gründen – wie viele ausgebrannte Cops, die der brutalen Realität der Großstadt nicht mehr gewachsen waren. Er hatte lange genug den Kopf hingehalten. Doch als er die Demonstranten vor dem Roundhouse und ihre Slogans auf den Transparenten sah – zum Beispiel »Verbrennt Byrne!« –, wusste er, dass er bleiben musste. Auf diese Weise konnte er sich nicht verabschieden. Byrne hatte zu viel für diese Stadt getan. Er hätte es nicht ertragen, dass man ihn so in Erinnerung behielt.
    Daher blieb er.
    Und wartete.
    Wartete auf einen neuen Fall, der ihn wieder an die Spitze bringen würde.
    Byrne trank seinen Kaffee aus und machte es sich auf dem Sitz bequem. Es gab keinen Grund, nach Hause zu fahren. Vor ihm lag eine Schicht, die in wenigen Stunden begann. Außerdem war er in seiner eigenen Wohnung nur ein Geist, ein blinder Passagier in zwei leeren Räumen. Es gab dort niemanden, der ihn vermisst hätte.
    Er schaute auf die Fenster des runden Verwaltungsgebäudes der Polizei, des Roundhouse, auf den gelben Schimmer des stets brennenden Lichts der Gerechtigkeit.
    Gideon Pratt war in diesem Gebäude.
    Byrne schloss lächelnd die Augen. Er hatte seinen Mann. Das Labor würde es bestätigen, und ein weiterer Schandfleck würde von den Bürgersteigen Philadelphias verschwinden.
    Kevin Francis Byrne war nicht irgendein Detective in dieser Stadt.
    Er war ein Held .
     

 
     
    2.
     
     
    Montag, 5.15 Uhr
     
     
    D ies hier ist die andere Stadt, diejenige, die William Penn sich niemals vor Augen fiihrte, wenn er seine »grüne Stadt auf dem Lande« zwischen dem Schuylkill und dem Delaware River betrachtete, wenn er von griechischen Säulen und Marmorhallen träumte, die majestätisch über den Kiefern in den Himmel ragen sollten. Dies ist nicht die Stadt des Stolzes und der Geschichte und der Visionen, nicht jener Ort, an dem die Seele einer großen Nation geboren wurde. Nein, dies hier ist ein Teil Nord-Philadelphias, wo lebende, hohläugige Geister durch die Dunkelheit irren. Dies ist ein elender Ort, ein Ort voller Ruß und Kot und Asche und Blut, ein Ort, wo Menschen sich vor den Blicken ihrer Kinder verstecken und ihre Würde für ein Leben in entsetzlichem Elend verlieren. Ein Ort, an dem junge Tiere alt werden.
    Wenn es in der Hölle Slums gäbe, würden sie bestimmt so aussehen.
    Doch an diesem scheußlichen Ort wird etwas Schönes entstehen. Ein Garten Gethsemane inmitten des aufgerissenen Betons, des vermoderten Holzes und der zerstörten Träume.
    Ich stelle den Motor ab. Es ist ruhig
    Sie sitzt reglos neben mir, als hätte sie in diesen letzten Augenblicken ihrer Jugend bereits den Kontakt zur Wirklichkeit verloren. Ihr Profil sieht aus wie das eines Kindes. Ihre Augen sind weit geöffnet, doch ihr Blick ist blind.
    Es gibt einen Zeitpunkt in der Jugend, da ein Mädchen, das gerade noch fröhlich über den Bürgersteig hüpfte und mit lauter Stimme Lieder trällerte, diese kindlichen Vergnügungen aufgibt und durch einen Anspruch auf die Weiblichkeit ersetzt. Es ist eine Zeit, da Geheimnisse geboren werden, ein Repertoire heimlichen Wissens, das niemals enthüllt wird. Es geschieht bei allen Mädchen zu unterschiedlichen Zeiten – manchmal mit zwölf oder dreizehn, manchmal erst mit sechzehn oder später –, aber es geschieht immer, in jeder Kultur, jeder Rasse. Es ist der Moment, der nicht etwa durch den Beginn der Menstruation gekennzeichnet wird, wie viele glauben, sondern durch das Wissen, dass der Rest der Welt – und vor allem die Männer – sie plötzlich mit anderen Augen betrachten.
    Und von diesem Moment an verändert sich das Gleichgewicht der Kräfte für immer.
    Nein, sie ist keine Jungfrau mehr, aber sie wird wieder eine Jungfrau sein. Dort an der Säule wird es eine Geißelung geben, und von diesem Fluch wird die Auferstehung ausgehen.
    Ich steige aus, schaue nach links und rechts. Wir sind allein. Die Nachtluft ist kühl, obwohl die Tage für die Jahreszeit ungewöhnlich warm sind.
    Ich öffne die Beifahrertür und nehme ihre Hand. Keine Frau, kein Kind. Gewiss kein Engel. Engel haben keinen eigenen Willen.
    Aber
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