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Bullenhitze

Bullenhitze

Titel: Bullenhitze
Autoren: Matthias P. Gibert
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trennte, doch außer dem fahlen Schein der Beleuchtung in einem der Zimmer, die den frisch gefallenen Schnee erhellte, gab es dort nichts zu sehen.
    Er dachte darüber nach, es noch einmal bei Lenz privat zu versuchen, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Dann trat er neben die Haustür und legte den Finger auf die Klingel.
    Zu seinem großen Erstaunen erklang keine drei Sekunden später die Stimme der aktuellen Frau Wohlrabe.
    »Ja, bitte?«
    »Kriminalkommissar Hain, guten Morgen, Frau Wohlrabe. Würden Sie mich bitte kurz hereinlassen?«
    Stille.
    »Frau Wohlrabe?«
    »Entschuldigen Sie bitte, das kann ja wohl jeder sagen, der frühmorgens irgendwo klingelt, dass er von der Polizei ist.«
    »Bitte. Mein Kollege Lenz und ich waren bei Ihnen, Sie erinnern sich doch sicher an mich.«
    »Ja, schon. Aber was wollen Sie denn um diese Uhrzeit?«
    »Es geht um meinen Kollegen. Worum es genau geht, würde ich Ihnen gerne persönlich erklären. Außerdem … ist es hier draußen ziemlich kalt.«
    Das Summen des Türöffners ersetzte ihre Antwort. Hain trat ins Haus, brachte mit schnellen Schritten den Flur hinter sich, der den Eingangs- vom Wohnbereich trennte, und wartete vor der nächsten Tür. Die wurde kurz darauf von der perfekt gekleideten und gestylten Monika Wohlrabe geöffnet.
    »Bitte, kommen Sie herein.«
    »Danke«, erwiderte Hain, und folgte der Frau in den Wohnbereich.
    »Ich möchte schon darauf hinweisen, dass Ihr Besuch um diese Uhrzeit mehr als ungewöhnlich ist, Herr Kommissar. Wenn Sie sich also bitte kurzfassen würden.«
    »Natürlich.«
    »Also?«
    »Es geht, wie gesagt, um meinen Kollegen, Hauptkommissar Lenz. Er ist nicht zufällig hier?«
    Sie sah ihn an, als hätte sie mit genau dieser Frage gerechnet. »Nein.«
    »Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
    »Vor ein paar Tagen. Wenn ich mich recht erinnere, waren Sie dabei.«
    »Finden Sie es nicht ungewöhnlich, dass ich mitten in der Nacht hier auftauche und nach meinem Kollegen suche?«
    »Wir verlieren doch alle mal etwas.«
    »Das …«, setzte Hain zu einer weiteren Frage an, wurde aber von einem Summen aus ihrer Handtasche unterbrochen. Die Frau blickte ihn mit ausdruckslosem Gesicht an, ohne dem Anruf auch nur die geringste Bedeutung beizumessen.
    »Da scheint sich noch jemand um diese Zeit für Sie zu interessieren«, kommentierte Hain ihre Untätigkeit.
    »Vielleicht hat er auch jemanden verloren«, erwiderte sie kühl.
    So standen sie sich gegenüber, bis das Geräusch verstummte. Hain trat einen Schritt auf sie zu.
    »Ich glaube Ihnen nicht. Ich glaube vielmehr, dass mein Kollege hier war oder noch immer ist. Also?«
    »Was also? Wollen Sie mein Haus durchsuchen? Dann brauchen Sie …«
    Wieder klingelte ein Telefon. Diesmal war es der Festnetzanschluss. Das Gerät steckte in der Ladestation, die neben der Tür zur Küche stand.
    Ein Klingeln. Ein weiteres. Und erneut machte die Frau keine Anstalten, den Anruf entgegenzunehmen. Hain sah sie kurz an, ging auf das Telefon zu und wollte danach greifen, doch sie fiel ihm in den Arm.
    »Lassen Sie das!«, zischte sie.
    Der Oberkommissar schob sie zu Seite und griff erneut nach dem Gerät, und diesmal war er schneller als sie. Ohne sich zu melden, nahm er das Telefon ans Ohr und lauschte.
    »Monika?«, tönte es ihm entgegen.
    »Leg auf«, schrie sie aus dem Hintergrund. »Leg sofort auf.«
    Hain drehte sich um und wandte sein Gesicht der Frau zu, und im gleichen Moment riss er die Augen auf. Er nahm gerade noch wahr, wie ihre Hand eine Waffe aus der Tasche zog, die auf dem Sessel neben ihr stand. Nein, es war keine Waffe. Es war einer dieser modernen Elektroschocker. Blitzartig setzten sich im Kopf des Polizisten die Puzzleteile zusammen, die sein Chef und er in den letzten Tagen zusammengetragen hatten. Sie hob den Taser, nahm den Zeigefinger an den Abzug und krümmte ihn langsam. Parallel zu ihrer Bewegung hob Hain den rechten Arm, an dessen Ende noch immer das Telefon in seiner Hand lag, und schleuderte es der Frau entgegen. Sie sah auf das Wurfgeschoss, drückte ab und riss gleichzeitig den rechten Arm nach oben, um sich zu schützen. Diese Hundertstelsekunde, die zwischen dem Abfeuern der Elektroden aus dem Taser und der Schutzbewegung lagen, rettete Hain vermutlich das Leben. Die beiden Projektile surrten, gefolgt von den hauchdünnen Drähten, auf den Polizisten zu, doch nur einer fand seinen Weg ins Ziel. Der zweite flirrte an ihm vorbei und bohrte sich in das Sideboard.
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