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Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)

Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)

Titel: Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
Autoren: Leander Haußmann
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eine große Freundschaft im Entstehen war. Dieser Moment, dieses Stehenbleiben der Zeit prägte sich in ihr Gedächtnis wie eine Gedenkmünze, die sie dann und wann mit Stolz und Wehmut betrachteten.
    Sollte das jetzt schon das Vorsprechen gewesen sein, fragten sich die beiden. Wenn ja, dann war das ja wohl nicht nur das erste, sondern auch das originellste Vorsprechen ihres Lebens.
    »Wer soll denn jetzt von euch beeden den Carlos spielen?«, nuschelte Castorf. »Ihr seid doch Freunde, da kann ick doch nich eenen von euch wieder wegschicken.«
    Fassungslosigkeit. Kann das sein? Dass es so etwas jenseits der Schauspielschule gab? Dass da jemand war, der Freundschaft über Kunst stellte? Den beiden wurde schwindlig wegen des Gefühls, das sich bei diesem Gedanken einstellte. Und wegen des Satzes, den Castorf als Nächstes sagte: »Da spielt ihr eben beede den Carlos.« Er sinnierte kurz. »Lernt ma beede den Text, sprecht dit Ding halt im Chor. Als Carlos 1 und Carlos 2.«
    »Soll ick Akkordeon spielen?«, fragte Uwe, öffnete den Koffer mit dem Akkordeon, schnallte es sich um und begann die ersten Takte von »You can’t always get what you want« zu spielen.
    »Wir haben den Text dabei«, sagte der andere junge Mann und kramte aus seiner Tasche das dicke Stones-Songbook heraus. »I saw her today at the reception« sangen die beiden leise und, wie sie meinten, im Satzgesang.
    »Packen Sie sofort das Instrument ein, sonst gibt es Lokalverbot«, sagte der Kellner und brachte die Rechnung.
    Sie waren im Spiel.
     
    »Hört mal, ihr beeden«, sagte Castorf, der Uwe und Leander beiseitegenommen hatte, »stukt den Mann so lange unter Wasser, bis mal ein ehrlicher Ton aus dem Typen rauskommt.«
    Der Kollege saß in einer Badewanne, wir hatten mit ihm einen Dialog und währenddessen hielten wir seinen Kopf so lange unter Wasser, bis er seinen Körper panisch anspannte. Und noch ein bisschen länger, bis er sich in Todesangst widersetzte und nach Luft schnappte.
    Zugegeben, diese Probenmethoden von Castorf waren nicht immer das, was wir von der Schauspielschule kannten, aber auf jeden Fall wirkungsvoller.
     
    Die Premiere von »Clavigo« wurde dann als Abstecher in einer sehr kleinen Stadt namens Greiz gegeben. Spätestens nachdem Carlos 1 und Carlos 2 mit dem Akkordeon »Keine Macht für Niemand« in den schweigenden Zuschauerraum gebrüllt hatten, war der letzte Greizer gegangen. Nun waren nur noch die Freunde aus Berlin da und sie jubelten. Ich kannte jeden Zuschauer persönlich.

6 THEO LINGEN MAG MICH NICHT
THEO LINGEN MAG MICH NICHT
    6 UWE UND ICH waren nicht wohlgelitten an der »Ernst Busch«, der Hochschule für Schauspielkunst, an der wir Anfang der Achtzigerjahre unsere Ausbildung absolvierten, das ist aktenkundig. Ein Kommilitone, der im hohen Alter von dreißig Jahren noch an der Schule aufgenommen worden war und der nicht nur wie ein Stechinsekt hieß, sondern auch so aussah, schrieb wöchentlich sehr persönliche Berichte über uns.
     
    Seit Wochen hatten wir versucht, unter dem Radar wegzutauchen. Denn seit Wochen wurde zum 100. Todestag von Karl Marx eine »Truppe« zusammengestellt. Diese Truppe sollte ein freches, dialektisches, lustiges, junges, ein bisschen kritisches szenisches Programm mit Musik erarbeiten. Hans-Peter Minetti, Mitglied der Volkskammer und Leiter der Schauspielschule, hatte unsere Namen höchstpersönlich auf seine Wunschkandidatenliste gesetzt. Obwohl die Teilnahme eigentlich freiwillig war, war Minettis Wort Gesetz. In diesem Fall gab es nur noch eine Rettungsmaßnahme und die hieß Tsouloukidse.
    Herr und Frau Dr. Tsouloukidse, Allgemeinmediziner, hatten ihre Praxis am Schiffbauerdamm direkt neben dem Berliner Ensemble, sie waren der Geheimtipp der Krankschreibungsszene. Denn dort ging es nicht nur um die seit Lehrlingstagen perfektionierte Kunst des Sich-Krankschreiben-Lassens, also um Schauspielkunst auf Leben und Tod, wenn man so will, sondern auch um Konversation auf hohem Niveau. Dort musste man zwei Ärzte bespaßen, die die Bemessung der Krankheit und die Länge der Krankschreibung vom Niveau der Darstellung abhängig machten. Und ich darf sagen, dass ich über den passenden Schlüssel zu ihren Herzen verfügte.
    Ich hatte herausgefunden, dass die Tsouloukidses stramme Ernst-Lubitsch-Fans waren. Und wie es der Zufall wollte, teilte ich diese Leidenschaft. Stundenlang schwärmte ich mit den beiden über Ninotschkas Hut, über die Funktion des Bartes in »To be or not to be«,
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