Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
Münze bekommt nicht der Fährmann, sondern irgendein Herr in Grau, der einen Schlittschuhverleih betreibt (freilich von gleicher Mentalität).
    In welcher Ausführlichkeit ich diese Szene plötzlich vor mir sah! Graf Tolstoi im schwarzen Trikot zog, weit die Arme schwingend, übers Eis, dem fernen Horizont entgegen; seine Bewegungen waren langsam und gravitätisch, doch lief er so geschwind, daß das dreiköpfige Hundevieh, das hinter ihm her war mit lautlosem Gebell, ihn nicht zu fassen vermochte. Ein strahlender Sonnenuntergang vollendete das Bild, in schmachtendem Rotgold, nicht von dieser Welt. Ich lachte in mich hinein. Im selben Moment fiel eine Hand auf meine Schulter.
    Ich tat einen Schritt zur Seite, fuhr herum, während meine Finger in der Manteltasche nach dem Knauf des Revolvers suchten, und war verblüfft: Vor mir stand Grigori von Ernen – ein Freund aus Kindertagen. Doch wie sah er aus! Von Kopf bis Fuß in schwarzem Leder, das Pistolenhalfter an der Hüfte baumelnd, eine absurde Art Hebammenköfferchen in der Hand.
    »Schön, daß du noch was zu lachen hast«, sagte er.
    »Tag, Grigori«, erwiderte ich. »Komisch, dich zu sehen.«
    »Wieso denn?«
    »Nur so. Halt komisch.«
    »Woher und wohin?« fragte er in munterem Ton.
    »Ich komme grad aus Petersburg«, sagte ich. »Und wohin, das tät ich selber gern wissen.«
    »Dann erst mal zu mir«, sagte Grigori. »Ich wohne um die Ecke, hab die ganze Wohnung für mich allein.«
    Wir liefen ein Stück den Boulevard hinab, dabei musterten wir einander, grienten uns an und redeten sinnlos daher. Seit unserem letzten Zusammentreffen hatte Grigori von Ernen sich einen Bart stehen lassen, weshalb sein Gesicht einer gekeimten Zwiebel ähnelte; die Wangen waren rauh und gerötet, man konnte meinen, er hätte sich mehrere Winter in Folge auf Schlittschuhen gesund gelaufen.
    Wir waren ans selbe Gymnasium gegangen, hatten uns danach aber nur noch selten gesehen. Ein paarmal traf ich ihn in den Petersburger literarischen Salons; er schrieb Gedichte, die ein bißchen nach Nekrassow klangen und ein bißchen nach Nadson – als dieser an Marx glaubte und jener der Sodomie frönte. Gestört hatte mich von Ernens Art, im Beisein anderer Kokain zu schnüffeln, und daß er beständig auf seine Verbindungen zu sozialdemokratischen Kreisen anspielte. Mit letzterem hatte er, so wie er jetzt aussah, wohl nicht gelogen. Es war aufschlußreich, an einem Mann, den man seinerzeit mit Vorliebe vom mystischen Sinn der Hl. Dreifaltigkeit hatte reden hören, Zeichen zu gewahren, die seine Zugehörigkeit zu den Heerscharen der Finsternis erkennen ließen. Doch kam ein solcher Wandel natürlich nicht überraschend. Etliche Dekadente vom Schlage eines Majakowski hatten den offen satanischen Charakter der neuen Macht gewittert und sich ihr darum unverzüglich angedient. Wobei ich allerdings glaube, daß kein eingefleischter Satanismus sie dazu trieb (dafür waren sie viel zu infantil), sondern ihr ästhetischer Instinkt: Das rote Pentagramm paßte prächtig zu Majakowskis gelbem Jäckchen.
    »Wie sieht's aus in Petersburg?« fragte Grigori.
    »Als ob du das nicht selber wüßtest«, sagte ich.
    »Stimmt«, versetzte Grigori gleichmütig. »Das weiß ich selber.«
    Wir bogen vom Boulevard ab, überquerten eine gepflasterte Straße und standen gleich darauf vor einem respektablen siebenstöckigen Wohnhaus, direkt gegenüber dem »Palace«-Hotel, vor dessen Eingang zwei Maschinengewehre, rauchende Matrosen und ein langer Pfahl mit knatternder roter Muleta standen. Von Ernen zupfte mich am Ärmel.
    »Sieh mal«, meinte er.
    Ich drehte den Kopf. Auf dem Pflaster vor dem Hauseingang stand ein langes, schwarzes Automobil mit offener Fahrerbank und gestutzter Kabine. Die Vordersitze waren vom Schnee ordentlich zugeweht.
    »Und?«
    »Das ist meiner«, sagte Grigori. »Mein Dienstwagen.«
    »Aha«, sagte ich. »Gratuliere.«
    Wir traten ins Haus. Der Fahrstuhl funktionierte nicht, wir mußten die düstere Treppe benutzen, von der sie den Läufer noch nicht weggerissen hatten.
    »Was treibst du so?« fragte ich.
    »Oh«, sagte Grigori, »wie soll ich das so schnell erklären. Viel Arbeit, zuviel sogar. Das geht zack, zack, zack, man kommt kaum hinterher. Mal hier, mal da. Jemand muß es ja machen.«
    »Auf dem Kultursektor, oder wie?«
    Er neigte irgendwie unbestimmt den Kopf zur Seite. Ich fragte lieber nicht weiter.
    Im vierten Stock angekommen, näherten wir uns einer hohen Tür, auf der sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher