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Bruno Chef de police

Bruno Chef de police

Titel: Bruno Chef de police
Autoren: Martin Walker
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er mit dem Bürgermeister heimlich verabredet hatte. Sie war dem alten Erzfeind England gewidmet, der über ein Jahrtausend lang Frankreich bekämpft hatte und seit einem Jahrhundert sein Verbündeter war.
    Monsieur Jacksons Enkel, ein Junge von zwölf oder dreizehn Jahren, verließ seinen Platz in der Blaskapelle, wo er Trompete spielte, und nahm ein blitzblank poliertes Signalhorn zur Hand, das an einer roten Schärpe hing. Er trat auf das Denkmal zu, entrichtete dem Bürgermeister einen militärischen Gruß, setzte das Horn an die Lippen und spielte zur Verwunderung der verstummten Menge, die auf diese Abweichung von der zeremoniellen Routine nicht gefasst war, die ersten beiden langen, eindringlichen Töne von
The Last Post,
dem wohl bewegendsten aller Militärsignale. Bruno bekam feuchte Augen und sah, wie die Schultern von Monsieur Jackson und der
Union Jack,
den er hielt, zu zittern anfingen. Der Bürgermeister wischte sich eine Träne aus dem Auge, als die letzten glasklaren Hornklänge verhallten. Die Menge schwieg, bis der Junge das Horn absetzte, brach aber dann in einen wahren Beifallssturm aus. Karim ging auf den Jungen zu und schüttelte ihm die Hand. Sein Sternenbanner streifte kurz die britische und französische Fahne, und Bruno registrierte, dass Fotoapparate klickten.
    Donnerwetter, dachte er überrascht und beschloss spontan,
The Last Post
zum festen Bestandteil der Jahresfeier zu machen. Und als er sich umschaute, um zu sehen, ob er ordnend eingreifen musste, weil die Menge sich jetzt zerstreute, entdeckte er den jungen Philippe Delaron, der als Sportreporter für die
Sud-Ouest
arbeitete und gerade mit einem Notizblock in der Hand den alten Monsieur Jackson und dessen Enkel interviewte. Nun ja, eine kleine Zeitungsnotiz über einen echten britischen Verbündeten, der an der Siegesparade teilnahm, mochte durchaus nützlich sein, wo doch zurzeit so viele Engländer in der Gemeinde Häuser und Grundstücke erwarben. Vielleicht würden sie sich ja sogar mit den hohen Grundsteuern und Wasserkosten für ihre Swimmingpools abfinden.
    Plötzlich fiel ihm etwas Sonderbares auf. In den vorangegangenen Jahren und bei allen Paraden - ob zum 11. November, dem Ende des Ersten Weltkriegs, zum 18. Juni, der Verkündung des Freien Frankreich durch de Gaulle, oder zum 14. Juli, wenn Frankreich seine Revolution feiert -, an all diesen Feiertagen hatten sich Jean-Pierre und Bachelot, kaum dass die Zeremonie vorüber war, grußlos voneinander abgewandt und waren einer nach dem anderen zur
mairie
gegangen, um ihre Fahnen zurückzubringen. Diesmal jedoch blieben sie noch lange stehen und beäugten einander. Sie sagten nichts, kommunizierten aber irgendwie. Erstaunlich, dachte Bruno, was ein Signalhorn auszurichten vermag. Wenn ich zur nächsten Parade ein paar Amerikaner gewinnen kann, werden die beiden vielleicht wieder miteinander sprechen und die Frau des jeweils anderen in Ruhe lassen.
    Bruno nahm Marie-Louise, die immer noch Tränen in den Augen hatte, die Fahne ab und überquerte damit die Brücke. Dichtauf folgten der Bürgermeister, Monsieur Jackson, dessen Tochter und Enkel. Karim war mit seiner Familie schon ein Stück voraus, während Jean-Pierre und Bachelot mit ihren zum Verwechseln ähnlich aussehenden Frauen die Nachhut bildeten und eisern schweigend Abstand voneinander hielten. Im Hintergrund spielte die Blaskapelle ohne ihren besten Trompeter ein Lied, das viele rührte:
J'attendrai.
Mit diesem Lied hatten die Französinnen 1940 ihre Männer verabschiedet, die in den Krieg zogen, ein sechswöchiges Desaster erlebten und dann für fünf Jahre in Kriegsgefangenschaft gerieten. »Tag und Nacht werde ich auf deine Rückkehr warten.« Die Geschichte Frankreichs spiegelt sich in Kriegsliedern, dachte Bruno, meist traurigen, manchmal heroischen, aber immer voller Verlust.
    Die Menge verlief sich - es war Mittagszeit. Manche Familien kehrten auch zur Feier des Tages in Jeannots Bistro neben der
mairie
ein oder in die Pizzeria jenseits der Brücke. Bruno hätte sich normalerweise mit einigen Freunden in Ivans Café getroffen und sein Tagesgericht bestellt. Bei Ivan gab es immer Steak und Pommes frites - bis auf die Zeit, als er sich in ein belgisches Mädchen vom Campingplatz verliebt und statt der Steaks Miesmuscheln serviert hatte, drei glückliche, leidenschaftliche Monate lang, bis die Angebetete schließlich nach Charleroi zurückgekehrt war. Danach hatte es wochenlang überhaupt kein Tagesgericht mehr
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