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Bruno Chef de police

Bruno Chef de police

Titel: Bruno Chef de police
Autoren: Martin Walker
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den Ersten Weltkrieg erinnerte, den die Franzosen
la Grande Guerre,
den Großen Krieg, nennen. In den Sockel des Denkmals waren auf drei Seiten die Namen der gefallenen Söhne von Saint-Denis eingemeißelt. Die Bronze war mit den Jahren dunkel geworden, aber der große Siegesadler, der mit ausgebreiteten Flügeln auf der Schulter des Soldaten hockte, leuchtete in frisch poliertem Gold. Dafür hatte der Bürgermeister gesorgt. Die vierte Seite des Sockels bot genügend Platz für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs wie auch der späteren Kämpfe in Indochina und Algerien, und bei den jüngsten Einsätzen auf dem Balkan, an denen auch Bruno hatte teilnehmen müssen, war glücklicherweise niemand aus Saint-Denis umgekommen. Umso mehr bestürzte es ihn, dass eine so kleine Gemeinde zwischen 1914 und 1918 über zweihundert junge Männer hatte verlieren können.
    Die Schulkinder der Stadt hatten zu beiden Seiten des Denkmals Aufstellung genommen. Die ganz Kleinen aus dem Kindergarten hielten einander bei den Händen oder nuckelten am Daumen. Die etwas Größeren in Jeans und T-Shirts waren noch jung genug, um sich von dem Spektakel faszinieren zu lassen, während die Teenager von der Mittelschule die Gesichter verzogen und sich darüber mokierten, dass es in ihrem neuen Europa immer noch derart antiquierte Demonstrationen nationalen Stolzes gab. Doch auch sie zollten letztlich Respekt und gedachten ihrer Großväter und Urgroßväter, deren Namen auf dem Sockel geschrieben standen, Namen, die etwas aussagten über ihre Herkunft, über die Schrecken des Krieges und darüber, welche Opfer ihr Land womöglich irgendwann wieder einmal von ihnen verlangen würde.
    Möglich, dass Jean-Pierre und Bachelot seit über fünfzig Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt hatten, doch sie wussten in diesem Moment um ihre rituellen Pflichten, traten vor und senkten ihre Fahnen vor dem bronzenen Soldaten und seinem Adler. Montsouris und Marie-Louise folgten ihrem Beispiel, und auch Karim und der alte Monsieur Jackson, wenn auch ein wenig zögerlich und unsicher, was das richtige Timing anbelangte. Dann bestieg der Bürgermeister langsam das kleine Podest, das Bruno vor das Denkmal geschoben hatte, und ließ seinen Blick über die Menge schweifen.
    »Französinnen und Franzosen«, hob er an. »Und ihr, die Repräsentanten unserer tapferen Verbündeten. Wir sind heute zusammengekommen, um einen Tag des Sieges zu feiern, der auch zu einem Tag des Friedens wurde, den 8. Mai, der den Untergang des Nationalsozialismus markiert wie auch den Beginn der Versöhnung in Europa. Wir verdanken diesen Frieden nicht zuletzt den tapferen Söhnen von Saint-Denis, deren Namen hier eingeschrieben sind, und auch den älteren Männern und Frauen, die vor euch stehen und sich der Herrschaft der Invasoren nie gebeugt haben. Wenn immer Frankreich tödlicher Gefahr ausgesetzt ist, stehen die Söhne und Töchter von Saint-Denis auf, um dem Ruf zu folgen: für Frankreich, für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und für die Menschenrechte, die sich unsere Nation auf die Fahne geschrieben hat.«
    Er hielt inne und nickte Sylvie von der Bäckerei zu, worauf diese ihre kleine Tochter, die den Blumenkranz trug, nach vorn schob. Das kleine Mädchen in rotem Röckchen, blauer Bluse und langen weißen Strümpfen trat zögernd auf den Bürgermeister zu, reichte ihm den Kranz und schrak zurück, als der ältere Herr sich herabbeugte, um ihr einen Kuss auf beide Wangen zu geben. Der Bürgermeister ging langsam mit dem Kranz auf das Denkmal zu, lehnte ihn an das bronzene Bein des Soldaten, trat einen Schritt zurück und rief:
»Vive la France, vive la Republique!«
    Auf dieses Stichwort hin hoben Jean-Pierre und Bachelot ihre Fahnen in die Höhe, was ihnen, schon ein wenig altersschwach, sichtlich schwerfiel, und die Kapelle stimmte die alte Widerstandshymne
Le Chant des Partisans
an. Tränen rollten über die Wangen der beiden alten Männer, die sich mieden wie die Pest, und die alte Marie-Louise fing so heftig zu schluchzen an, dass ihre Fahne ins Wanken geriet. Alle Kinder, selbst die Teenager, wirkten betroffen und verlegen angesichts dieser Reaktionen auf das, was die Alten erfahren hatten, für sie selbst aber völlig fremd war.
    Als die Musik verklang, wurden die drei Fahnen der Alliierten, die sowjetische, britische und amerikanische, durch die Luft geschwenkt, und dann wartete Bruno mit seiner Überraschung auf: der Darbietung einer kleinen Einlage, die
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