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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle
Autoren: Donna Leon
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groß, außer daß die einen ihre Uniformen mit Orden und Lametta dekorierten, während die anderen den unauffälligen Zwirn von Armani und Brioni bevorzugten.
    Mit der Geschichte der Akademie war Brunetti leidlich vertraut. 1852 von Alessandro Loredan - einem frühen Gefolgsmann und späteren General Garibaldis - auf der Giudecca gegründet, residierte die Schule in einem weitläufigen Gebäudekomplex auf der Insel. Loredan, der kinderlos und ohne männliche Erben starb, hatte zusätzlich zu diesem Anwesen auch seinen Privatpalazzo und das gesamte Familienvermögen in einen Treuhandfonds überführt, unter der Bedingung, daß die Erträge ausschließlich zum Aufbau und Erhalt der Militärakademie verwendet würden, die er nach dem Schutzpatron seines Vaters benannt hatte.
    Nun waren die Oligarchen von Venedig zwar nicht unbedingt Anhänger des Risorgimento, aber wenn es galt, der Stadt ein so riesiges Vermögen wie das von Alessandro Loredan zu erhalten, durfte die Gesinnung ruhig einmal hintanstehen. Nur Stunden nach dem Tod des Generals war der genaue Wert seines Vermächtnisses beziffert, und binnen Tagen hatten die im Testament benannten Treuhänder einen pensionierten Offizier, der zufällig mit einem von ihnen verschwägert war, mit der Leitung der Akademie betraut. Die wurde bis zum heutigen Tag nach streng militärischen Regeln geführt, eine Eliteschule, auf der die Söhne hoher Offiziere und vermögender Patrizierfamilien jenen sprichwörtlich letzten Schliff erhielten, der in der Regel auch ihnen den Weg in den Offiziersstand eröffnete.
    Bis hierher war Brunetti mit seinem Rückblick gekommen, als das Boot hinter der Kirche Sant' Eufemia in einen Seitenkanal einschwenkte und den nächsten Anlegeplatz ansteuerte. Pucetti sprang mit dem Tau an Land und schlang es um den eisernen Haltering auf dem Pflaster. Dann streckte er Brunetti die Hand entgegen und half ihm von Bord.
    »Zur Schule geht's da lang, nicht wahr?« Brunetti wies auf die Leeseite der Insel und zur Lagune hin, die in der Ferne gerade noch erkennbar war.
    »Keine Ahnung, Signore«, gestand Pucetti. »Ich muß zugeben, daß ich außer zum Redentore-Fest eigentlich nie auf die Giudecca komme. Daher weiß ich leider auch nicht, wo die Schule ist.«
    Daß seine venezianischen Mitbürger durch die Bank zähe Nesthocker waren, wußte Brunetti natürlich, aber von einem wie Pucetti, der so intelligent und weltoffen wirkte, hätte er doch etwas mehr Aufgeschlossenheit erwartet.
    Als ob er die Enttäuschung seines Chefs erraten hätte, fuhr Pucetti fort: »Überspitzt gesagt, war die Insel für mich immer fast schon Ausland, Signore. Muß an meiner Mutter liegen: Sie spricht über die Giudecca, als gehörte sie nicht zu Venedig. Man könnte ihr hier das schönste Haus schenken, sie würde es nicht nehmen.«
    Brunetti, dem es klüger schien, nicht zu erwähnen, daß seine eigene Mutter ähnlich dachte, ja daß auch er einiges von dieser Mentalität geerbt hatte, sagte nur: »Doch, doch, die Schule liegt dahinten, am anderen Ende des Kanals« und gab zielstrebig die Richtung vor.
    Schon von ferne sah er, daß der große portone, der in den Hof der Akademie führte, für jedermann weit offenstand. Er wandte sich nach Pucetti um. »Finden Sie heraus, wann das Tor heute morgen geöffnet wurde und ob beim Verlassen und Betreten des Schulgeländes Meldepflicht besteht.«
    Bevor Pucetti etwas sagen konnte, fuhr Brunetti fort: »Das gilt auch für die letzte Nacht, wir wissen ja nicht, wie lange der Junge schon tot ist. Und erkundigen Sie sich, wer Schlüssel zum portone hat und wann er abends geschlossen wird.«
    Pucetti brauchte man die Vernehmungsfragen nicht im Wortlaut vorzubeten: eine willkommene Entlastung bei einer Dienststelle, deren Beamte im Durchschnitt das Niveau eines Alvise hatten.
    Vianello stand bereits vor dem portone. Er begrüßte seinen Vorgesetzten mit leicht gerecktem Kinn und nickte Pucetti zu.
    Brunetti, der den Vorteil, unangemeldet und in Zivil zu erscheinen, nicht ungenutzt lassen wollte, schickte Pucetti zurück zum Boot; er solle ihnen zehn Minuten Vorsprung geben und dann nachkommen.
    Im Hof hatte sich die Nachricht von dem Todesfall offenbar bereits herumgesprochen, auch wenn Brunetti nicht hätte erklären können, woran er das merkte. Vielleicht am Anblick der Knaben und jungen Burschen, die in kleinen Gruppen beisammenstanden und sich mit gedämpfter Stimme unterhielten, vielleicht auch daran, daß einer von ihnen weiße
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