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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde
Autoren: Donna Leon
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reichsten Männer der Stadt, konnte dieses Wunder leicht bewirken, es bedurfte dazu nur eines Telefongesprächs oder einer kleinen Bemerkung bei einem Abendessen. »Nein, ich glaube, ich möchte das selbst in die Hand nehmen«, sagte er, mit Betonung auf dem »selbst«.
    Zu keinem Zeitpunkt wäre es ihm - so wenig wie Paola - in den Sinn gekommen, die Sache legal anzugehen, also die zuständigen Dienststellen und die Namen der richtigen Leute herauszufinden und dann die geeigneten Schritte einzuleiten. Auch kamen beide nicht auf die Idee, daß es einen vorgeschriebenen Dienstweg geben könnte, auf dem das Problem zu lösen wäre. Falls es so etwas gab oder man es herausfinden konnte, pflegten die Venezianer es doch zu ignorieren, weil man eben wußte, daß solche Dinge sich nur mit conoscenze regeln ließen, als da waren: Bekannte, Freunde, Beziehungen und geschuldete Gefälligkeiten, die man im Laufe eines Lebens angesammelt hatte, weil sie unausweichlich anfielen im Umgang mit einem System, das alle - sogar diejenigen, die in seinem Sold standen, vielleicht gerade diejenigen, die in seinem Sold standen - für ineffizient bis hin zur totalen Nutzlosigkeit hielten, anfällig für die Mißbräuche, die aus Jahrhunderten der Korruption erwachsen waren, und beschwert durch einen byzantinischen Hang zu Heimlichtuerei und Gleichgültigkeit.
    Paola beachtete Brunettis Ton nicht. »Er könnte das sicher regeln«, sagte sie.
    Ohne sich Zeit zum Nachdenken zu lassen, rief Brunetti: »Ah, wo blieb der Schnee vom vorigen Jahr? Wo sind die Ideale von achtundsechzig?«
    Paola war augenblicklich auf der Hut. »Was soll das bitte heißen?« blaffte sie.
    Er sah sie an, wie sie dasaß, den Kopf zurückgeworfen und zu allem bereit; dabei wurde ihm klar, wie einschüchternd sie im Hörsaal wirken mochte. »Es soll heißen, daß wir früher einmal beide an die politische Linke geglaubt haben, an soziale Gerechtigkeit und Dinge wie Gleichheit vor dem Gesetz.«
    »Und?«
    »Und jetzt überlegen wir als erstes, wie wir uns an den Anfang der Schlange mogeln könnten.«
    »Sprich aus, was du sagen willst, Guido«, begann sie.
    »Und rede bitte nicht von ›wir‹, wenn ich diejenige bin, die den Vorschlag gemacht hat.« Sie hielt kurz inne und fügte hinzu: »Deine Prinzipien sind ja noch intakt.«
    »Und was soll das bitte heißen?« erkundigte er sich, wobei sein Ton schon nicht mehr ironisch war, aber auch noch lange nicht böse.
    »Daß die meinen es nicht mehr sind. Wir haben uns jahrzehntelang zum Narren halten lassen und selbst zum Narren gehalten, wir mit unseren Hoffnungen auf eine bessere Gesellschaft, unserem idiotischen Glauben daran, daß dieses ekelhafte politische System und diese ekelhaften Politiker unser Land einmal in ein goldenes Paradies verwandeln könnten, regiert von Philosophenkönigen in endloser Folge.« Ihr Blick suchte den seinen und hielt ihn fest. »So, und daran glaube ich nicht mehr, an nichts davon. Ich habe keinen Glauben und keine Hoffnung mehr.«
    Obwohl er echte Müdigkeit in ihren Augen sah, als sie das sagte, schlich sich der alte Groll, den er nie ganz unterdrücken konnte, in seine Stimme, als er fragte: »Und heißt das nun, daß du dich jedesmal, wenn es Ärger gibt, an deinen Vater wenden wirst, der Geld und Beziehungen hat und in seinen Anzugtaschen Macht mit sich herumträgt wie unsereiner Kleingeld, und ihn bitten wirst, die Sache für dich zu regeln?«
    »Ich will nur eines«, begann sie in einem plötzlich ganz anderen Ton, wie um die Situation zu entschärfen, bevor es zu spät war. »Ich will uns Zeit und Kraft sparen. Wenn wir die Sache auf dem vorgeschriebenen Weg angehen, betreten wir Kafkas Welt und werden keine Ruhe mehr haben vor lauter Suche nach den richtigen Papieren, von denen irgendein kleiner Bürokrat wie dieser Signor Rossi immer wieder behaupten wird, es wären nicht die richtigen und wir müßten noch andere und wieder andere beibringen, bis wir beide reif fürs Irrenhaus sind.«
    Als sie sah, daß Brunetti sich allmählich für diesen veränderten Ton erwärmte, fuhr sie fort: »Das heißt, wenn ich uns das alles ersparen kann, indem ich meinen Vater um Hilfe bitte, dann möchte ich es lieber so erledigen, denn für alles andere hätte ich weder die Geduld noch die Kraft.«
    »Und wenn ich dir nun sage, daß ich es lieber selbst tun möchte, ohne seine Hilfe?« Bevor sie antworten konnte, fügte er rasch hinzu: »Es ist unsere Wohnung, Paola, nicht seine.«
    »Meinst du
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