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Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen
Autoren: Donna Leon
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dem Gedächtnis eine andere Nummer.
    Nach dem dritten Klingeln wurde abgenommen, und eine Männerstimme sagte: »Alló?«
    »Ciao, Lele«, sagte Brunetti, der an der rauhen Stimme gleich erkannt hatte, daß der Maler selbst am Apparat war. »Ich rufe an, weil ich etwas über einen deiner Nachbarn wissen möchte, Dottor Fabio Messini.« Wenn jemand in Dorsoduro wohnte, dann mußte Lele Cossato, dessen Familie seit den Kreuzzügen in Venedig ansässig war, etwas über ihn wissen.
    »Ist das der mit der Afghanin?«
    »Frau oder Hund?« fragte Brunetti lachend.
    »Hund, wenn es der ist, den ich meine. Die Frau ist Römerin, aber die Hündin ist ein Afghane. Schön und anmutig. Die Hündin. Die Frau aber auch, wenn ich mir's recht überlege. Sie kommt mindestens einmal am Tag mit dem Hund an meiner Galerie vorbei.«
    »Der Messini, den ich suche, leitet ein Pflegeheim in der Nähe des Ospedale Giustinian.«
    Lele, der alles wußte, sagte: »Ist das nicht derselbe, dem auch das Heim gehört, in dem Regina ist?«
    »Ja.«
    »Wie geht es ihr, Guido?« Lele, nur wenige Jahre jünger als Brunettis Mutter, kannte sie seit Urzeiten und war einer der besten Freunde ihres Mannes gewesen.
    »Immer gleich, Lele.«
    »Gott schütze sie, Guido. Es tut mir leid.«
    »Danke«, sagte Brunetti. Weiter gab es dazu nichts zu sagen. »Und dieser Messini?«
    »Soweit ich mich erinnere, hat er hier vor etwa zwanzig Jahren eine Praxis aufgemacht. Aber dann hat er Fulvia, die Römerin, geheiratet und mit dem Geld ihrer Familie die casa di cura eröffnet. Danach hat er seine Privatpraxis aufgegeben. Glaube ich jedenfalls. Und inzwischen leitet er meines Wissens vier oder fünf Altersheime.«
    »Kennst du ihn persönlich?« »Nein. Ich sehe ihn nur hin und wieder. Nicht oft. Jedenfalls nicht so oft wie seine Frau.«
    »Woher kennst du sie?« fragte Brunetti.
    »Sie hat über die Jahre ein paar Bilder bei mir gekauft. Ich mag sie. Intelligente Frau.«
    »Mit gutem Kunstgeschmack?« fragte Brunetti.
    Leles Lachen scholl durch den Hörer. »Die Bescheidenheit verbietet mir, diese Frage zu beantworten.«
    »Wird irgend etwas über ihn geredet? Oder über beide?«
    Am anderen Ende der Leitung entstand eine lange Pause, dann sagte Lele: »Mir ist nie etwas zu Ohren gekommen. Aber ich kann mich umhören, wenn du möchtest.«
    »Ja, aber laß keinen merken, daß du fragst«, sagte Brunetti, obwohl er wußte, daß die Ermahnung unnötig war.
    »Meine Zunge wird sein wie eine sanfte Brise auf stiller See«, versetzte Lele.
    »Dafür wäre ich dir sehr dankbar, Lele.« »Es hat aber nichts mit Regina zu tun, oder?«
    »Nein, nichts.«
    »Gut. Sie war so eine wundervolle Frau, Guido.« Und als ob ihm plötzlich bewußt geworden sei, daß er in der Vergangenheitsform gesprochen hatte, fügte er rasch hinzu:
    »Ich rufe dich an, sobald ich etwas erfahren habe.«
    »Danke, Lele.« Brunetti hätte ihn um ein Haar noch einmal zur Diskretion ermahnt, aber dann überlegte er sich, daß einer, der in der venezianischen Kunst- und Antiquitätenszene so erfolgreich war wie Lele, ebensoviel Fingerspitzengefühl besitzen wie stahlhart sein mußte, und so verabschiedete er sich nur rasch.
    Es war noch lange nicht zwölf, aber der Duft des Frühlings, der seit einer Woche die Stadt belagerte, lockte Brunetti nach draußen. Außerdem war er zur Zeit der Chef, warum sollte er also nicht einfach gehen, wann es ihm gefiel? Er fühlte sich noch nicht einmal verpflichtet, bei Signorina Elettra reinzuschauen und ihr zu sagen, wohin er ging; aller Wahrscheinlichkeit nach steckte sie sowieso bis zu den Ellbogen in ihrer Computerkriminalität, und da wollte er sich weder zum Mitwisser machen noch, um die Wahrheit zu sagen, ihr zwischen den Füßen sein, also überließ er sie ihrem Tun und machte sich auf den Weg zur Rialtobrücke und nach Hause.
    Es war kalt und feucht gewesen, als er am Morgen die Wohnung verließ, und nun empfand er in der zunehmenden Wärme des Tages sein Jackett und den Mantel als Last. Er knöpfte beide auf, nahm seinen Schal ab und steckte ihn in die Tasche, aber es war immer noch so warm, daß er den ersten Schweiß dieses Jahres auf seinem Rücken spürte. Er fühlte sich wie eingesperrt in seinen wollenen Anzug, und schon meldete sich der verräterische Gedanke, daß sowohl Hose wie Jackett ein bißchen mehr spannten als zu Beginn des Winters, als er sie zum erstenmal angezogen hatte. An der Rialtobrücke angekommen, gab er sich plötzlich einen Ruck, nahm
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