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Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale
Autoren: Donna Leon
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doch Rechtshänder, oder?«
    »Ja.«
    »Die Stellen am Arm waren auch rechts, also konnte er sich nicht selbst gespritzt haben.« Er gestattete sich eine winzige Pause. »Falls es Injektionen waren.« Wieder eine Pause. »Signora, haben Sie Ihrem Mann diese Spritzen gegeben?«
    Sie antwortete nicht, also wiederholte er die Frage: »Haben Sie Ihrem Mann diese Injektionen gegeben, Signora?« Keine Reaktion. »Signora, verstehen Sie meine Frage? Haben Sie Ihrem Mann diese Spritzen gegeben?«
    »Es waren Vitaminspritzen«, sagte sie endlich.
    »Was für welche?«
    »B-12.«
    »Woher hatten Sie das Mittel? Von Ihrem Exmann?«
    Die Frage überraschte sie offensichtlich. Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nein, er hat nichts damit zu tun. Ich habe das Rezept ausgestellt, als wir noch in Berlin waren. Helmut klagte über Müdigkeit und ich schlug ihm vor, es mit einer B-12-Spritzenkur zu versuchen. Er hatte das früher schon gemacht und es hatte ihm geholfen.«
    »Wann haben Sie mit den Injektionen angefangen, Signora?«
    »Ich weiß es nicht mehr genau. Vor sechs Wochen etwa.«
    »Wurde es besser?«
    »Was?«
    »Mit Ihrem Mann. Haben die Spritzen sein Befinden verbessert? Hatten sie die Wirkung, die Sie sich erhofften?«
    Sie sah ihn scharf an bei dieser zweiten Frage, antwortete aber gelassen. »Nein, sie schienen ihm nicht zu helfen. Darum habe ich nach sechs oder sieben beschlossen, die Behandlung abzubrechen.«
    »Haben Sie das beschlossen, Signora, oder Ihr Mann?«
    »Was ist da für ein Unterschied? Es hat nicht geholfen, also hat er sie nicht mehr bekommen.«
    »Ich glaube, es ist ein großer Unterschied, wer entschieden hat, die Behandlung nicht fortzusetzen, Signora. Und ich glaube, Sie wissen das.«
    »Dann war er es wohl, der entschieden hat.«
    »Wo haben Sie das Rezept eingereicht? Hier in Italien?«
    »Nein, ich habe ja hier keine Zulassung. In Berlin, vor unserer Abfahrt.«
    »Aha. Der Apotheker müsste es also überprüfen können.«
    »Ja, wahrscheinlich schon. Aber ich weiß nicht mehr, wo ich es geholt habe.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass Sie ein Rezept ausgestellt haben und es einfach in irgendeiner beliebigen Apotheke eingereicht haben?«
    »Ja.«
    »Wie lange haben Sie in Berlin gewohnt, Signora?«
    »Zehn Jahre. Aber was hat das damit zu tun?«
    »Es kommt mir eigenartig vor, dass ein Arzt zehn Jahre in einer Stadt lebt und keine Stammapotheke hat. Oder dass der Maestro nicht eine hatte, wo er immer hinging.«
    Ihre Antwort ließ einen Moment zu lange auf sich warten. »Das hatte er. Wir beide. Aber an dem Tag, als ich das Rezept ausschrieb, war ich nicht zu Hause und bin in die erstbeste Apotheke gegangen, die gerade am Weg lag.«
    »Sie wissen aber sicher noch, wo das war. So lange ist es ja noch nicht her.«
    Sie blickte aus dem Fenster, konzentrierte sich und versuchte sich zu erinnern. Schließlich wandte sie sich ihm zu und sagte: »Es tut mir leid, aber ich weiß es nicht mehr.«
    »Das ist nicht weiter schlimm, Signora«, meinte er leichthin, »die Berliner Polizei wird das sicher für uns herausfinden.« Sie sah auf, überrascht, vielleicht auch mehr als das. »Und ich bin sicher, sie werden auch feststellen, worum es sich gehandelt hat, um welche Art von« - er hielt nur ganz kurz inne, bevor er das letzte Wort aussprach - »Vitamin.«
    Obwohl ihre Zigarette noch brennend im Aschenbecher lag, griff sie nach dem Päckchen, änderte aber dann ihre Bewegung und schob die Schachtel mit einem Finger im Kreis herum, jedes mal genau eine Vierteldrehung. »Sollen wir langsam damit aufhören?«, fragte sie mit ausdrucksloser Stimme. »Ich mochte solche Spiele noch nie und Ihre Stärke sind sie auch nicht gerade.«
    Er hatte im Laufe der Jahre unzählige Male miterlebt, wie Menschen an den Punkt kamen, an dem sie nicht mehr weiterkonnten, den Punkt, an dem sie, wie widerstrebend auch immer, die Wahrheit sagten. Wie eine belagerte Stadt: zuerst fielen die äußeren Verteidigungsstellungen, dann kam der erste Rückzug, das erste Zugeständnis an den nahenden Feind. Es hing vom Verteidiger ab, ob der Kampf schnell oder langsam weiterging, an diesem oder jenem Schutzwall ins Stocken geriet; vielleicht gab es einen Gegenangriff, vielleicht auch nicht. Aber die erste Reaktion war immer dieselbe: der fast erleichterte Verzicht auf die Lüge, der am Ende der Wahrheit das Tor öffnete.
    »Es waren keine Vitaminspritzen. Das wissen Sie, nicht wahr?«, fragte sie.
    Er nickte.
    »Und wissen Sie, was es
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