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Bruderschaft der Unsterblichen

Bruderschaft der Unsterblichen

Titel: Bruderschaft der Unsterblichen
Autoren: Robert Silverberg
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noch kahl; häßliche, verdreckte Schneehäufchen rahmten fast ununterbrochen den Straßenrand ein. In Ar i zona lag sicher kein Schnee mehr. Ned saß neben mir auf dem Rücksitz und machte sich Notizen; Seite um Seite kritzelte der Linkshänder seinen abgegriffenen Spira l block voll, mit einem dämonischen Glanz in den kleinen dunklen Augen. Unser zartbesaiteter homosexueller D o stojewski-Verschnitt. Ein Lastwagen röhrte hinter uns auf der linken Spur, überholte und kehrte unmittelbar vor uns in seine Spur zurück. So gut wie kein Zwischenraum blieb übrig. Beinahe hätten wir auf seiner Rückfront g e klebt. Oliver fluchte und trat so fest auf die Bremsen, daß sie quietschten. Wir wurden auf unseren Sitzen nach vorn gerissen. Einen Augenblick später brachte Oliver uns auf die leere rechte Spur, um dem ebenfalls überraschten Wagen hinter uns zu entgehen. Timothy wachte auf. „Verdammt noch mal“, sagte er. „Gönnt denn hier ni e mand einem armen Jungen etwas Schlaf?“
    „Vor einem Moment hätte man uns beinahe umg e bracht“, erklärte ihm Ned grimmig, während er sich zu ihm nach vorn lehnte. Er spuckte die Worte geradezu in Timothys großes rosafarbenes Ohr. „Das wäre eine Ironie des Schicksals gewesen, was? Vier propere junge Bu r schen, die in den Westen wollen, um das ewige Leben zu erlangen, werden auf dem New England Thruway von einem L kW -Fahrer ausgelöscht, unsere ranken und schlanken Körper auf das Umland verstreut.“
    „Ewiges Leben“, sagte Timothy und rülpste. Oliver lachte.
    „Eine Chance von fünfzig zu fünfzig“, gab ich nicht zum erstenmal zu bedenken. „Ein Spiel mit existentiellen Konsequenzen. Zwei können ewig leben, zwei müssen sterben.“
    „Existentielle Scheiße“, sagte Timothy. „Mann, du e r staunst mich, Eli. Ziehst deine existentielle Nummer ab, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Du glaubst wir k lich daran, nicht wahr?“
    „Du etwa nicht?“
    „An das Buch der Schädel? An dein Arizona-Schlaraffenland?“
    „Wenn für dich alles Humbug ist, warum bist du dann überhaupt mitgekommen?“
    „Weil es im März in Arizona so schön warm ist.“ Er sprach wieder mit diesem gespreizten, arisch-nach lässigen ‚John-O’Hara-im-Country-Club’-Stimmfall, der mich so ankotzte. Acht Generationen reinsten Gel d adels standen hinter Timothy. „Mann, ich kann einen Tap e tenwechsel brauchen.“
    „Das ist der einzige Grund?“ fragte ich. „Das soll der ganze geistige und seelische Hintergrund deiner Tei l nahme sein? Du nimmst mich auf den Arm. Wahrschei n lich weiß nur der liebe Himmel, warum du meinst, du müßtest so blasiert und cool auftreten – selbst wenn es um ein derartiges Thema geht. Dieses ganze affektierte Getue von Leuten deines Schlages … Diese aristokrat i sche Vorstellung, jede Art von Engagement sei schmu t zig und bedeutungslos, daß sozusagen …“
    „Würdest du mir solche Ansprachen bitte ersparen“, sagte Timothy. „Ich bin nicht in der richtigen Stimmung für ethnische Analysen. Wirklich merkwürdig von dir.“
    Diesmal hatte er sich um einen höflicheren Ton b e müht, um in der liebenswürdigsten WASP-Art die Ko n versation mit dem aufdringlichen, langweilenden Jude n bengel zu beenden. Ich haßte Timothy am meisten, wenn er in seine Lieblingsmasche verfiel, vor mir mit seiner Abstammung zu prahlen, mir mit seiner gefälligen Obe r klassenmodulation bedeutete, daß seine Vorfahren dieses großartige Land zu einer Zeit kultiviert hatten, da meine in den Wäldern von Litauen noch nach Kartoffeln g e buddelt hatten. Er schloß: „Ich werde jetzt weiterschl a fen.“ Zu Oliver sagte er: „Paß ein bißchen besser auf di e se abgefuckte Straße auf, ja? Und weck mich, sobald wir die Sechsundsiebzigste Straße erreicht haben.“
    Wiederum hatte in seinem Tonfall eine unterschwell i ge Veränderung stattgefunden; ein Zeichen dafür, daß er nicht länger mit mir redete – dem komplexen, irritiere n den Mitglied einer fremdartigen, widersprüchlichen, aber vielleicht doch höheren Spezies. Er agierte jetzt als Landgraf, der seine Worte an einen Bauernlümmel ric h tete – eine Beziehung, in der Spitzfindigkeiten nicht au f zutreten pflegen. Natürlich war Oliver kein Bauernlü m mel. Aber so war das Bild, das Timothy sich von ihm gemacht hatte. Und dieses Bild, entsprach es auch nicht den Realitäten, reichte doch aus, um die Beziehung der beiden zu charakterisieren. Timothy gähnte und machte es sich auf seinem Sitz wieder
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