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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition)
Autoren: Dörthe Binkert
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Geheimratsecken. Dass er ausgerechnet jetzt an sein Aussehen dachte! »Ich habe mich zu der Zeit überhaupt nicht für Mädchen interessiert«, sagte er entschuldigend. Er lachte sein warmes, jungenhaftes und ein bisschen scheues Lachen.
    »Theo hat mir neulich erzählt, dass du meine Mutter besucht hast«, sagte er.
    Sie stellte die schwere Tasche ab. Offensichtlich war sie nicht in Eile. »Das ist aber auch schon wieder eine ganze Weile her. Wo wohnst du? Als ich bei deinen Eltern war, warst du noch nicht zurück.«
    Obwohl es unhöflich war, sah Karl noch mal auf die Uhr.
    Sie bemerkte es und nahm die Tasche wieder auf. »Du hast es wahrscheinlich eilig«, sagte sie. »War schön, dich zu sehen.«
    Sie hatte tatsächlich braune Augen, mandelförmig. Ihm war die Situation unangenehm. »Ich wohne bei einer Tante   …«, sagte er. »Entschuldige, ich würde mich gern mit dir weiter unterhalten. Ich bin nur so unruhig, weil ich gleich jemanden abholen muss. Wo wohnst du denn? Vielleicht können wir uns mal treffen   …«
    »Meine Eltern wohnen in der Franzstraße 3.   Bei Kupsch.«
    »Wir treffen uns sicher wieder.«
    »Wäre schön«, sagte Viola und sah Karl nach, der eine Bahnsteigkarte kaufen ging.
    Der Bahnsteigschaffner knipste die braune Pappkarte, Karl rannte, so gut es ging, die Treppe hinauf zu Gleis 2, behindert von dem sperrigen Handwagen, den er nicht unbeaufsichtigt unten an der Treppe stehen lassen wollte.
    Die Dampflok des Zuges, in dem Edith mit Passierschein von der amerikanischen in die englische Zone gereist war, zischte beim Bremsen, die elend mitgenommenen Wagen waren schmutzig und kamen mit einem Quietschen zum Stehen, das durch Mark und Bein ging.
    Karl wurde plötzlich von Freude durchflutet, dann von Angst. Er merkte, dass er schwitzte. Was sollte Edith von ihm denken? Viola hat wirklich braune Augen, schoss es ihm durch den Kopf, hat sich gemausert, wie seine Mutter es nannte.
    Karls Herz schlug bis zum Hals hinauf. Der Handwagen störte ihn, er war nicht der Einzige auf dem Bahnsteig, der auf jemanden wartete, er wurde geschubst und vorwärtsgestoßen, aber er wusste ja nicht, ob Edith vorn oder hinten im Zug war und wo er am besten auf sie wartete. Er legte die Hand wieder auf die Brust, an die Stelle, wo das Foto war. Am liebsten hätte er es herausgeholt, aber was sollte Edith von ihm denken, wenn sie das Foto sah? Lächerlich, er würde sie augenblicklich erkennen, er hatte jahrelang von ihr geträumt, obwohl er ihren Körper noch gar nicht kannte, nur von den Umarmungen und Küssen.
    Edith war ja erst fünfzehn gewesen, als sie sich kennenlernten. Sie hatte aber älter ausgesehen, mindestens wiesiebzehn. Er war achtzehn damals. Vielleicht hätte er sie gar nicht angesprochen, wenn sie wie fünfzehn ausgesehen hätte.
    Aus den schmalen Zugtüren quollen die Menschen. Manche blieben zögernd auf den Metalltritten stehen und schauten sich um. Aber andere drängten nach. Koffer, Taschen, Bündel. Begrüßungen.
    »Nun machen Sie doch mal Platz. Küssen können Sie sich zu Hause«, sagte neben ihm eine ältere Frau zu einem Paar, das sich eben in die Arme gefallen war.
    Edith, dachte Karl, hatte keinen kussfreudigen Mund. Sie entspannte die Lippen nicht richtig beim Küssen. Dabei war ihr Mund doch ausgesprochen hübsch. Aber es war immer, als lägen die Dinge noch nicht so, dass man sich dem Küssen unbekümmert überlassen könnte.
    War das nicht Edith, die da vorn einen Koffer auf den Bahnsteig fallen ließ und sich mit einem weiteren abmühte, der sich in der Tür querstellte?
    Karl kämpfte sich mit dem Handwagen zu der Stelle durch, aber es war nicht Edith. Endlich entdeckte er sie. Sie stand schon auf dem Bahnsteig, mit allen drei Koffern, hilflos und verloren. Sie hatte immer noch das runde, weiche Kinn und die dunklen Locken, die sie aus der Stirn und aufgesteckt trug.
    »Edith!«, rief er. »Edith!« Sie sah in seine Richtung. »Bleib stehen, ich bin gleich da!« Seine Stimme war heiser vor Nervosität.
    Sie fing an zu weinen, schaute hinunter auf ihre schwarzen, geschnürten Schuhe. Da nahm er sie schon in die Arme. Sie sah ihn überhaupt nicht an, als fürchte sie sichvor dem Augenblick, und drückte nur ihren Kopf gegen seine Brust und gegen das Verlobungsbild, das unter seiner Jacke steckte.
    »Komm«, sagte er, »wir laden die Koffer auf den Handwagen, aber wir müssen sie dann gleich die Treppe hinuntertragen.« Und während er das sagte, dachte er, warum sage ich
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