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Brixton Hill: Roman (German Edition)

Brixton Hill: Roman (German Edition)

Titel: Brixton Hill: Roman (German Edition)
Autoren: Zoë Beck
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und sah sie mit einem seltsam traurigen Blick an.
    »Das hat wehgetan.« Em schüttelte ihr Handgelenk.
    »Ja. Mir auch«, sagte Alan.
    Sie hatte die Gelegenheit ergriffen und sich beeilt, von ihm wegzukommen. Nach ein paar Metern hatte sie bemerkt, dass er ihr nachging. Sie war die Straße hinuntergelaufen bis zu der Kreuzung, die sie auf die große Straße führte, die wiederum leicht abschüssig verlief und sie zum Bahnhof brachte. Alan hatte es irgendwann aufgegeben, ihr nachzugehen.
    Als sie gegen sechs Uhr morgens zu Hause ankam und noch kurz ihre Facebookseite checkte, bevor sie sich ins Bett legte, hatte sie schon vier lange Nachrichten von ihm. Eine Entschuldigung (»Ich wollte dir doch nicht wehtun … habe dich verschreckt …«). Eine Liebeserklärung (»Als ich dich zum ersten Mal sah … Dieser Kuss hat mich glücklicher gemacht, als ich es mir je vorstellen konnte …«). Einen wütenden Ausbruch (»Mich so zu behandeln … Dass es dir nicht leidtut?«). Einen verzweifelten Aufschrei (»Bitte, lass uns noch einmal reden … Ich liebe dich!«).
    In dieser Art ging es noch ein paar Tage weiter. Seine Liebesschwüre wurden immer dringlicher, seine Wutausbrüche immer beängstigender.
    Em blockierte ihn auf allen Kanälen und sorgte dafür, dass seine E-Mails sie nicht mehr erreichten. Er legte sich neue Identitäten zu und sendete Nachrichten von anonymen Mailaccounts. Sie versuchte, seine Nachrichten nicht zu lesen, tat es manchmal aber doch. Erschrak jedes Mal. Fühlte sich unwohl. Elend. Bis sie sich endgültig zwang, alles ungelesen zu löschen.
    An die Adresse der Everetts, wo sie Weihnachten feierte, schickte er zwei große Pakete mit Stofftieren – die fast dem Bombenräumkommando zum Opfer gefallen wären. Sie erhielt sogar Briefe und Päckchen von ihm an Orten, an denen sie arbeitete. Er schien ihren Zeitplan genau zu kennen und immer zu wissen, wo sie war. Manchmal schickte er ihr ein Buch, von dem er glaubte, es könnte ihr gefallen. Oder USB -Karten, angeblich mit Filmen oder Musik. Natürlich sah sie sich nicht an, was auf den Karten drauf war. Wer konnte schon sagen, was sich daraufhin unerkannt auf ihrem Rechner installieren würde. Alan schickte Blumen, Wein, Eintrittskarten fürs Theater. Hin und wieder tauchte er in Restaurants oder Cafés auf, in denen sie sich mit jemandem verabredet hatte. Einen Tag, nachdem sie Steve kennengelernt hatte, bekam sie eine Mail: »Dieser Mann ist nicht gut für dich. Er ist verheiratet.« Was sie längst gewusst hatte, und was mit das Attraktivste an Steve war. So würde er nicht auf die Idee kommen, mit Em eine feste Beziehung eingehen zu wollen. Etwas, das Alan nicht verstehen würde.
    Em versuchte weiterhin, Alans Zuwendungen zu ignorieren und keine Angst zuzulassen.
    Erst vor drei, vier Wochen war es etwas ruhiger geworden. Möglicherweise war es die Ruhe vor dem Sturm gewesen.
    Sie glaubte nicht, dass sich etwas geändert hätte, wenn sie zur Polizei gegangen wäre. Alan hatte ihr genug über sich erzählt: Er war zwar gelernter Tontechniker und hatte Jobs bei Konzerten und anderen Live-Veranstaltungen, war ansonsten aber leidenschaftlicher Hacker und verfolgte damit politische Ziele.
    »Du willst die Welt retten?«, hatte sie mit hochgezogener Augenbraue gesagt, und er hatte genickt und von WikiLeaks und Geheimdienstakten und gehackten Servern bei Weltkonzernen angefangen, bis ihr ganz mulmig geworden war.
    Deshalb wusste sie, dass keine gerichtliche Auflage weit genug greifen konnte, um ihn daran zu hindern, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Es sei denn, sie führte ab sofort ein komplett geheimes Leben unter einer neuen Identität. Am besten offline. Und diese Macht über sie wollte sie ihm nicht zugestehen. Sie wollte normal weiterleben, als sei nichts geschehen. Schließlich schickte er ihr nur ein paar liebeskranke E-Mails, Briefe, Päckchen. Er näherte sich ihr nicht, wenn er sie sah, beobachtete sie nur aus der Entfernung. Meist nicht mal besonders lange.
    Sie spielte Alans Verhalten herunter. Den Gedanken, er könnte ernsthaft krank sein, hatte sie vorsorglich ganz weit von sich geschoben. Seine gelegentlichen Drohungen, ihr eines Tages so wehzutun wie sie ihm, hatte sie vergessen wollen.
    Was der Auslöser gewesen war, dass sich Alan ausgerechnet jetzt an ihr rächen wollte, konnte sie sich nicht erklären. Aber sie glaubte zu wissen, warum er es getan hatte: Er wollte sie zwingen, mit ihm zu reden, weil sie nie mehr auf ihn reagiert hatte.
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