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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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mir dachte. Hätten Sie mir damals geschrieben, wie Sie am meisten litten, vielleicht hätten Ihnen meine Worte wohltun können. Glauben Sie mir, liebe Charlotte, Sie werden mir diese vertrauliche Benennung nicht übel deuten,
da ja nur Sie und ich unsere Briefe lesen
, der Mensch traut nie dem Menschen genug. So erfahre ich erst jetzt durch Sie, daß ich damals einen tieferen Eindruck auf Sie machte, als ich mir je eingebildet hätte. Die Zeilen, die man nach so langer Zeit von sich selbst wiedersieht, sprechen einen wie aus einer anderen Welt an. Ich habe das Glück, denn es ist wirklich nur
ein Glück, daß ich mich keiner Empfindung schämen darf, die ich in jener Jugend hegte, und glauben Sie es mir, ich bin noch jetzt gleich einfach wie damals. Jedes Wort Ihres Briefes hat mich auf das Tiefste ergriffen, ich versetze mich ganz in Ihre Lage, und ich danke Ihnen recht aus innigem Herzen, daß Sie den Glauben an mich nicht verloren, und daß Sie mich wert hielten, sich mir, wie Sie es tun, zu erschließen. Schreiben Sie mir denn, wenn Sie es der Mühe wert halten es ferner zu tun, ohne Umschweife und mit dem Vertrauen, auf das ich vielleicht ein Recht erlangt hätte, wenn ich Sie wiedergesehen hätte. Sehr Unrecht haben Sie, wenn Sie sagen, daß gewisse Eindrücke im weiblichen Gemüt tiefer und länger haften. Ich könnte Ihnen das Gegenteil aus Ihrem eigenen Briefe beweisen. Gestehen Sie immer, es soll kein Vorwurf sein – 26 Jahre liegen hinter unserer kurzen Bekanntschaft, und wir sehen uns leider vermutlich nie wieder –, daß ich ziemlich aus Ihrem Gedächtnis verschwunden bin, wie ich Sie verließ. Sie haben sich wenigstens nicht an mein Versprechen erinnert, Sie wieder zu besuchen, das nicht gehalten zu haben mich oft sehr ernstlich geschmerzt hat. Ich könnte die Bank in der Allee noch bezeichnen, wo ich es machte; ich war im Begriff, zu Ihnen zu kommen, aber eine jugendliche Pedanterie, in der ich es für unmöglich hielt, eine Woche später nach Göttingen zurückzukehren, hielt mich davon ab. Es ist mir ein sicherer Beweis,
daß wir einander im Leben nicht nahe kommen sollten, und das Einzige, was mir innig leid tut, ist, daß ich nicht bestimmt war, irgend dauernde Freude in Ihr Leben zu bringen. Trübe oder schmerzliche Empfindungen konnten sich, davon seien Sie sicher überzeugt, an den Umgang mit mir nicht knüpfen. Es trifft mich kein Vorwurf dieser Art. Ihr Schicksal hat mich so ergriffen, wie Sie es nach diesen Geständnissen sich denken können. Ich habe es auch auf mannigfaltige Weise heut überlegt. Ich bitte Sie aber, überlassen Sie sich für den Augenblick mir, folgen Sie blindlings meinem Rat und glauben Sie dem, der mehr Welterfahrenheit hat als Sie, und ebenso wie Sie weiß, was ein Gemüt in Ihrer Lage bedarf. Setzen Sie aber dabei alle kleinlichen Rücksichten beiseite, seien Sie wirklich vertrauend, seien Sie gut gegen mich, und erzeigen Sie mir den größten Gefallen, den Sie mir erzeigen können. Was Sie in Ihrer jetzigen Lage brauchen, Ihre Gesundheit und Ihr Herz, ist Ruhe. Die ängstliche Sorge, die große Anstrengung für Ihre Erhaltung, untergräbt beides. Sie waren, ich erinnere mich dessen noch sehr gut, gesund und stark, Sie waren es, so scheint es, später wieder geworden. Bleiben Sie ein Jahr nur ruhig und pflegen Ihre Gesundheit, so wird sie wiederkehren, trotz der Stürme, die Sie bestanden haben. Dies ist zugleich der beste Rat für Ihre übrigen Pläne. Glauben Sie mir, wer in dem Augenblick suchen muß, wo er braucht,
findet schwer. Wenn man hingegen nur eine Zeit lang sorglos leben kann, finden sich die Lagen von selbst. Welcher Ihrer Pläne ausführbar sein kann, muß die Zeit erst lehren, ebenfalls was ich befördern kann. Ich halte es für Pflicht, Ihnen darüber ganz offen zu reden. O! Sie hätten sehr unrecht, es mir übel zu deuten. Die Briefe des Herzogs sind sehr gut und machen ihm Ehre, aber er kann, wie Sie aus den Briefen Ihrer Freunde sehen,
vorerst
nicht helfen. Diese Dinge müssen Sie also wenigstens der Zeit und dem Schicksal überlassen. Erlauben Sie mir das Verdienst, Ihnen diese Zeit zu verschaffen, gönnen Sie mir die Beruhigung zu wissen, daß Ihnen jetzt ein Jahr ungetrübt von kleinen äußeren Sorgen verstrichen ist. Ja, liebe Charlotte, ich bitte Sie inständig darum; verschmähen Sie mein Anerbieten nicht. Es wäre innerlich die falscheste Delikatesse von der Welt, und Sie können sicher sein, daß niemand je
als ich und Sie
darum wissen
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