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Brennpunkt Nahost

Brennpunkt Nahost

Titel: Brennpunkt Nahost
Autoren: Joerg Armbruster
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die Schulter gehängt, halten unseren Bus an. Über den meisten Straßensperren wehen schwarze Fahnen mit der Aufschrift: »Es gibt keinen Gott außer Gott«. Dieses islamische Glaubensbekenntnis steht auch auf den Stirnbändern, die einige Kämpfer tragen. Sie sind die ersten Djihadisten, denen wir auf unserer Reise begegnen. Oder sind es doch nur normale Kämpfer, die ein bisschen wie Djihadisten aussehen wollen? Wir wissen es nicht. Dank Anwar, der einige zu kennen scheint, dauert der Halt zur Befragung nie lange und bleibt immer höflich.
    In dem Städtchen Keljebrin machen wir einen Zwischenstopp, um dort das Mohamed-Ismael-Gymnasium zu besuchen. Im Juli 2012 war eine Rakete in das Gebäude eingeschlagen, nachdem die Freie Syrische Armee es beschlagnahmt und ein Hauptquartier daraus gemacht hatte. Zum Glück für die Schüler war die Rakete, die sich durch zwei Stockwerke gebohrt hatte, nicht explodiert. Heute unterrichten Lehrer wieder, morgens die Schülerinnen, nachmittags Jungs. Rupert Neudecks Grünhelme hatten im November 2012 die Schäden repariert. Dieses Gymnasium – eine der wenigen Schulen, die den Betrieb in dem von den Rebellen kontrollierten Teil Syriens wieder aufgenommen haben. Selten habe ich Schülerinnen erlebt, die so begeistert und dankbar waren, wieder in ihre Schule gehen zu können, obwohl sie bei der Eiseskälte im März ein höchst ungemütlicher Ort war. Eine funktionierende Heizung gibt es nicht. Mit dicken Pullovern versuchen sich Schülerinnen wie Lehrer vor der Frühjahrskälte in dem klammen Gebäude zu schützen.
    Doch trotz der Fröhlichkeit auch hier – Angst das große Thema, Angst vor dem Krieg, Angst vor der Zukunft. Eine Schülerin berichtet:
    »Wir leben immer in Angst. Wenn wir nach Hause kommen, gibt es weder Wasser noch Strom. Immer wenn ein Flugzeug über uns auftaucht, befürchten wir, dass es was abwirft. Auch hier in der Schule haben wir Angst. Mitten in der Nacht wachen wir auf vom Krachen der Explosionen.«
    Eine andere Schülerin fühlt sich, als lebe sie zwischen zwei Mahlsteinen:
    »Keine Seite wird eine Lösung bringen. Die Regierung tritt nicht zurück, sondern beschießt uns, und die Opposition gibt auch nicht nach, sie schießt zurück. Und wir sitzen dazwischen und kriegen es ab«.
    Ob die Revolution tatsächlich eine bessere Zukunft bringen wird? Die Mädchen haben inzwischen Zweifel:
    »Die Exil-Opposition veranstaltet teure Konferenzen und wählt Vertreter, die wir nicht kennen und ohne uns zu fragen. Aber wir sind es doch, die die Opfer bringen. Angeblich, damit wir eines Tages in Freiheit und Demokratie leben, wir wollen unsere Führer selber wählen. Wenn die Revolution so weitergeht, dann sehe ich schwarz für unsere Zukunft.«
    Auch die Lehrer sind resigniert:
    »Assad hat die Waffen, uns hilft keiner«, hören wir immer wieder.
    Sicher quält sie auch die Sorge, er könne wieder zurückkommen mit seiner Armee und seinen Geheimdiensten; dann ginge es ganz besonders ihnen an den Kragen; denn immerhin sind sie Staatsangestellte, außerdem als Lehrer Mitglieder der Baathpartei und damit auf Assad und sein Regime eingeschworen.
    Als wir wieder in Richtung Aleppo aufbrechen, versammeln sich die Schülerinnen im Hof vor dem Gebäude und winken uns fröhlich nach. Diese Schule ist für sie ganz offensichtlich ein Schutzhafen in den Wirren des Krieges.
    Und die erleben wir hautnah in Aleppo, die Wirren dieses unübersichtlichen Kämpfens.
    Aleppo – eine Stadt wie mitten in einem Erdbeben: Menschen in Panik, traumatisiert durch explodierende Raketen, die die Erde erzittern lassen. Zurück bleiben dann Ruinenstümpfe und zu Schutt zerbröselte Häuser. Auch in dieser Stadt gibt es so gut wie keine Straße ohne Kriegsschäden. Die Menschen bewegen sich wie in Trance, stürzen sich auf die Fremden, klammern sich an sie, schütteln und beschwören sie, als könnten sie Erlösung bringen aus der verzweifelten Lage:
    »Wir lassen dich erst gehen, wenn du uns geholfen hast!«
    Dieser Satz scheint fast allen Menschen im Gesicht zu stehen, einige sprechen ihn auch aus, mehr aggressiv als flehend:
    »Was macht der Westen für uns? Warum lässt er uns im Stich? Erklär es uns!« Und noch viel schlimmer der Vorwurf, den einige in ihrer Verzweiflung ausstoßen: »Der Westen unterstützt Assad!«
    Zum Beispiel jene unglücklichen Menschen – Männer, Frauen, Kinder – die uns regelrecht einkesseln, kaum dass wir am Ortseingang von Aleppo anhalten und mit unserer
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