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Brennende Kälte

Brennende Kälte

Titel: Brennende Kälte
Autoren: Wolfgang Schorlau
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verwerfen.
    Und trotzdem. Wenn ihn jemand gefragt hätte, wer sein bester Freund sei, so hätte er Marios Namen ohne zu zögern genannt.
    »Du willst dir einen Leihwagen nehmen?«, fragte Klein. »Ja, ich muss heute zu einer Klientin in den Schwarzwald fahren.«
    »Und warum wirst du nicht endlich Mitglied bei Carsharing?«
    »Bei was?«
    »Bei Stadtmobil. Carsharing. Schau her: Wenn du ein Auto brauchst, rufst du an. Und an fast jeder Straßenecke steht eines, das du als Mitglied benutzen kannst. Du steigst ein. Fertig. Kostet wenig.«
    Dengler seufzte: »Mario hat einen Tick mit seinen Verschwörungstheorien. Du hast einen Ökotick. Der einzig Normale von uns dreien bin ich.«
    »Ach was«, sagte Martin Klein und suchte sein Handy in der Hosentasche seiner schwarzen Cordhose. Er wählte.
    »Ich brauche einen Wagen für zwei Stunden«, sagte er.
    Dengler trank seinen Kaffee aus.
    »Komm mit. Ich zeig dir was«, sagte Klein, als er das Gespräch beendet hatte.
    Er stand auf. Dengler blieb sitzen. Klein fasste ihn am Arm. »Komm, Georg, es lohnt sich.«
    Klein verließ das Lokal und ging mit ihm die wenigen Schritte zum Olgaeck hinüber. Er überquerte die Charlottenstraße und bog in eine schmale Seitenstraße ein. Nach wenigen Minuten kamen sie an einen größeren Parkplatz. An der Eingangssäule hing ein kleiner brauner Metallkasten, der mit einem kleinen Sichtfenster und einer Zahlentastatur versehen war. Klein hielt eine Karte, die Dengler an eine EC-Karte erinnerte, auf das Fenster und gab dann über die Tastatur einen vierstelligen Code ein. Die Tür des Tresors öffnete sich, und Dengler sah zu seinem Erstaunen darin einige Autoschlüssel hängen. Unter einem leuchtete eine kleine grüne Diode. Klein nahm diesen Schlüssel und ging auf einen der dort parkenden Wagen zu, öffnete die Tür und stieg ein.
    »Komm schon, Georg«, rief er.
    Dengler stieg ein.
    »Mehr Anstrengung ist es nicht. Kostet sieben Euro Gebühr im Monat plus Kilometergeld und Stundenpauschale.«
    Er legte den Rückwärtsgang ein.
    »Wo fahren wir hin?«, fragte Dengler.
    »In die Tübinger Straße«, sagte Klein und fuhr den Wagen aus dem Parkplatz. »Dort ist die Stuttgarter Stadtmobilzentrale. Manchmal muss man dich zu deinem Glück zwingen.«
    Dengler seufzte, und Klein gab Gas.
    Zwei Stunden später besaß Dengler tatsächlich eine Karte, wie er sie bei Martin Klein gesehen hatte. Er konnte nun zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Stadtmobil benutzen. Mehrere Standplätze um das Bohnenviertel herum waren für ihn gut zu erreichen, und die Kosten waren nicht hoch. Heute Abend würde er mit einem roten Stadtmobil bei Sarah Singer vorfahren.

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    Calw, Sarah Singers Wohnung
    »Der Kerl, der an meiner Haustür klingelte, war nicht mehr mein Ehemann. In keiner Weise ähnelte er ihm.«
    Sie saßen in einem kleinen, gemütlichen Wohnzimmer in Sarah Singers Haus. Eine weiß bezogene Couch stand an der linken Längsseite des Raumes, davor ein kleiner Holztisch, ein roter Sessel, unter dem Fenster der Fernseher und eine Hi-Fi-Anlage, an der zweiten Längswand weiße Billy-Regale, gefüllt mit Büchern, CDs und einigen Fotos. An der vierten Wand lehnte eine Staffelei, darauf ein fast zu Ende gemaltes Bild, ein weiblicher Akt, eine Frau in der Hocke, den Kopf vornübergebeugt, die Haare hingen bis zum Boden und verdeckten das Gesicht der Frau. Zwei kräftige Brüste, klar ausgearbeitet und den Gesetzen der Schwerkraft tapfer trotzend. Mit einer Reißzwecke war ein Foto an dem Rahmen der Staffelei befestigt, das offensichtlich als Vorlage für das Gemälde gedient hatte.
    »Das bin ich«, sagte Sarah Singer, die Denglers Blick bemerkte, und er überhörte den stolzen Unterton in ihrer Stimme keineswegs. »Ab und zu male ich. Ich brauche das einfach – manchmal.«
    Und wieder bemerkte Dengler, wie sie sich einen Ruck gab, den Rücken durchdrückte, mit einer fast trotzig wirkenden Bewegung.
    Dann besann sie sich auf ihren Bericht.
    »Vor der Tür stand er einfach eines Abends. Ohne Vorankündigung. Fast drei Monate war er weg gewesen. Ich wusste nicht, wo. Vor Angst bin ich fast ... nun war er wieder da. Aber der Blick seiner Augen ..«
    Sie schüttelte sich und sah Dengler an.
    »Der Blick seiner Augen glich einem ›Wer bist Du?‹. Völlig teilnahmslos. Als kenne er mich nicht.«
    In ihren Augenrändern sammelten sich Tränen.
    »Ich ...«
    Sie schluchzte, wischte sich mit einer energischen Bewegung die Tränen aus dem Gesicht. Dabei
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