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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache
Autoren: Connie Willis
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angefangen. Ich
bin mir nicht sicher, ob ich den Tag überleben werde.«
    »Das habe ich befürchtet«, sagte Ulric und holte
tief Luft. »Schauen Sie, Mr. Mowen, ich weiß, daß
Sie mich als Linguist eingestellt haben; und es gehört
wahrscheinlich nicht zu meinen Aufgaben, mich in die Angelegenheiten
der Forschungsabteilung einzumischen; aber ich glaube zu wissen,
weshalb Ihnen all diese Dinge widerfahren.«
    Ich habe dich eingestellt, damit du Sally heiratest und
Vize-Präsident der Verwaltung wirst, und immer sagst, was du
denkst, dachte Mr. Mowen; und du kannst dich einmischen, wo du
willst, wenn es dir gelingt, diese lachhaften Zufälle zu
beenden, die mich schon den ganzen Tag plagen.
    Ulric wies aus dem Fenster. »Sie können es nicht sehen,
weil es schneit, aber der Mond ist blau. Er ist die ganze Zeit
über blau, seit Sie Ihr Projekt Ungenutzte Emissionen gestartet
haben. ›Unter einem blauen Mond‹; so lautet eine alte
Redensart, die man bei besonders seltsamen Zufällen anwendet.
Ich könnte mir vorstellen, daß diese Redensart entstanden
ist, weil es jedesmal eine Häufung von Zufällen gegeben
hat, wenn ein blauer Mond am Himmel zu sehen gewesen war. Ich
könnte mir vorstellen, daß die Partikeln in der
Stratosphäre etwas mit den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit
anstellen. Ihr Projekt Ungenutzte Emissionen pumpt in diesem
Augenblick Partikeln in die Stratosphäre. Ich glaube, daß
diese Zufälle einen Nebeneffekt des Projektes
darstellen.«
    »Ich habe es gewußt«, sagte Mr. Mowen.
»Es ist genau, wie es damals bei Walter Hunt und der
Sicherheitsnadel war. Ich werde die Forschungsabteilung
anrufen.« Er griff nach dem Telefonhörer. Die Telefonschnur
verfing sich an einer Ecke des Schreibtisches. Als Mr. Mowen daran
zog, krachte das Telefon vom Schreibtisch; den Behälter für
Schreibstifte und Sallys Bild nahm es mit sich zu Boden.
»Würden Sie die Forschung für mich anrufen?«
    »Gewiß«, erwiderte Ulric. Er tippte die Nummer ein
und gab Mr. Mowen den Hörer.
    Mr. Mowen rief mit donnernder Stimme in die Muschel: »Stellen
Sie das Projekt Ungenutzte Emissionen ab. Sofort. Und schicken Sie
ebenfalls sofort sämtliche an dem Projekt Beteiligten her zu
mir.« Er hängte den Hörer ein und starrte aus dem
Fenster. »Also gut. Das Projekt ist gestoppt«, sagte er und
wandte sich Ulric zu. »Was jetzt?«
    »Ich weiß es nicht«, erwidert Ulric vom
Fußboden her, zu dem er sich gebeugt hatte, um die
Schreibstifte aufzuheben. »Ich nehme an, daß die
Wahrscheinlichkeitsgesetze wieder in gewohnter Form in Kraft treten,
sobald der Mond seine blaue Färbung verliert. Vielleicht wird es
auch einen Ausgleich geben; und Sie haben einen oder zwei Tage lang
Glück.« Er stellte den Behälter mit den Stiften auf
den Schreibtisch zurück und richtete Sallys Bild wieder auf.
    »Ich hoffe nur, es ändert sich, bevor meine Ex-Frau
zurückkommt«, sagte Mr. Mowen. »Sie war schon einmal
hier, aber Janice hat es geschafft, sie abzuwimmeln. Ich wußte,
daß auch sie eine Art Nebeneffekt darstellte.«
    Ulric erwiderte nichts. Er betrachtete nur das Bild Sallys.
    »Das ist meine Tochter«, sagte Mr. Mowen. »Sie hat
in Englisch promoviert.«
    Ulric stellte das Bild auf den Tisch. Es fiel um und stieß
den Schreibstiftbehälter wieder um und auf den Boden. Ulric
bückte sich, um die Stifte aufzulesen.
    »Kümmern Sie sich nicht um die Stifte«, sagte Mr.
Mowen. »Ich werde sie aufheben, wenn sich der Mond normalisiert
hat. Sie ist für die Erntedankferien nach Hause gekommen. Es ist
leicht möglich, daß Sie ihr begegnen. Ihr spezielles
Studiengebiet ist Spracherzeugung.«
    Ulric richtete sich auf und stieß sich den Kopf an der
Tischplatte. »Spracherzeugung«, sagte er und schritt aus
dem Büro.
    Mr. Mowen verließ sein Büro ebenfalls, um Janice zu
sagen, daß sie die Leute von der Forschung sofort hereinlassen
solle, wenn sie ankämen. Einer von Ulrics Handschuhen lag neben
Janices Schreibtisch auf dem Boden. Mr. Mowen hob ihn auf. »Ich
hoffe, er hat recht, und die Abschaltung der Schornsteine beendet
diese Zufälle«, sagte er. »Ich habe nämlich den
Eindruck, daß diese Geschichte ansteckend ist.«
     
    Lynn versuchte Brad zu erreichen, sobald Charlotte sie abgesetzt
hatte. Vielleicht wußte er, weshalb Mr. Mowens Sekretärin
sie zu sehen wünschte. Die Leitung war besetzt. Sie zog ihren
Parka aus, holte ihren Koffer ins Schlafzimmer und versuchte es noch
mal. Noch immer besetzt. Sie zog ihren Parka wieder an, dazu
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