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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame
Autoren: Michael Braun
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trium phiert? Wer weiß es? Es ist jetzt egal.
    Ja, das Leben nimmt von einem, Heinrich. Vielleicht nimmt es einem besonders gern das Liebste, damit wir ein wenig länger, ein wenig mehr leiden und uns bewähren können. Glücklich, wer es ziehen lassen kann und unter Tränen lächelnd glauben kann, dass die Liebe nie aufhört. Ich konnte es nicht. Nach Dir kam nichts , Heinrich, kommt nichts – nur Gott.
    – Ich frage mich, wie es wohl sein wird – das Sterben, der Moment des Sterbens, dem wir alle Stunde um Stunde entgegengehen? Hören wir einfach auf zu sein, oder gibt es eine Stelle, eine Schwelle gleichsam, bei der ein Glöckchen klingelt, um zu zeigen: Nun ist es soweit, du, liebe Alma, bist nun mausetot, es ist geschafft, vollbracht? Oder ist es einfach ein tiefer, tiefer Seufzer, wie mir manchmal scheinen will? Das ist meine Hoffnung und mein Wunsch, wenngleich a lles in den Händen Gottes liegt. I st erst einmal die Hürde der grässlichen Angst genommen, ist die Furcht vor dem Gehen verfloge n, wird es vielleicht einfach und wunderbar sein. Ein großes Abenteuer, da bin ich mir sicher, und was es alles zu erleben geben wir d jenseits dieser Schwelle . Ich fürchte mich, aber ich freue mich auch. Nein – freuen ist nicht das richtige Wort. Ich bin gespannt, so möchte ich es sagen. Neugierig , ja. Es ist wie am Abend vor einer großen Reise, auf der es viel zu sehen geben wird. So kommt es mir vor. Was für einen schrecklichen Plan die Natur hat – dieses lange, elend lange Vergehen, bis es am Ende so weit ist, dass sie uns ziehen lässt. Ist es nicht viel besser , eine Abkürzung zu nehmen? Gott vergebe mir, wenn ich fehl gehe. Aber er sieht, das glaube ich fest, die Absicht des Menschen – das Mögliche tun . Hat, wer das versucht, nicht viel erreicht? Tag für Tag stirbt das Herz doch ein klein wenig, da schabt sich die Hoffnung ab, und am Ende ist es dann leicht, ganz leicht geworden, wenn es stirbt.
    Genug davon. Ich muss all dies aufschreiben, Heinrich. Ich habe niemanden, mit dem ich über das Leben und das Sterben sprechen kann. Minna ist so mürrisch geworden; sie hätte auch einen Mann nehmen und Kinder haben sollen, es wäre sicher besser gewesen für sie und für uns alle, die wir noch sind. Jetzt geraten ihr die Gedanken durcheinander. Wir kommen alle – oder wenigstens fast alle – mit dem Kopf zuerst auf diese Welt, und einige von uns müssen sie mit dem Kopf zuerst wieder verlassen.
    Und Rosina – ja, eine wunderbare Frau, eine Freundin längst. Aber wie sollte ich mit ihr über die letzten Dinge reden, die mich seit vielen Monaten beschäftigen?
    Vielleicht – nein: sicher sind auch die Kinder mit mir (und Minna, Georg und Lilli) überfordert, Theo und seine Frau. Wie sollten sie verstehen können, was wir fühlen an diesem Ort? Wo ich jung war – eine schöne Frau war ich, Du weißt es , und Du warst ein schmucker Mann – und nun eine Erinnerung an unsere Jugend wiederfinde? Ich dachte damals, in den herrlichen Wochen nach der Hochzeit, es wäre der Anfang vom Glück. Aber es war Anfang und Ende zugleich.
    Der Schmerz ist frisch, viel frischer als in den zurückliegenden Jahren: eine Narbe, die nach all d er Zeit wieder aufgerissen ist. Verlorener, unwied erbringlich verlorener Zeit. Nein , auf dieser Welt gewesen zu sein, in diesem furchtbaren Krieg. .. Ihn durchwandert zu haben, überlebt zu haben. W er die Hölle durchquert, hat einen teuflischen Preis zu zahlen. Und wer hätte den lieben Gott gebeten, überhaupt auf diese Erde kommen zu dürfen, dieses Leben leben zu dürfen, zu müssen?
    Aber jetzt, wo ich es noch einmal gesehen habe, unser Leipzig, jetzt bin ich bereit. Ich fühle es. So ist doch alles nur Vorbereitung gewesen, eine Übung für das Eine, die große Reise. Nun schulde ich Gott einen Tod.
    Ich kenne das Gerede, Heinrich: Es hat sich seit unserer Zeit i n diesem Punkt nichts ge ändert. Die Menschen verachten die, die Hand an sich legen . Die Leute denken, es sind die Schwächsten, die so gehen, die Ängs tlichsten und Feigsten . Ich glaube das nicht, habe es nie geglaubt. Sind es nicht vielmehr die Starken, die den Mut dazu finden? Sterben ist kein Versagen, sondern Teil des Lebens.
    Nun wi ll auch ich es zuende bringen. Ich hoffe, ich habe die Kraft, das Notwendige zu tun, es endlich hinter mir zu lassen, wo alles längst vorbereitet ist. Es kommt Gott sicher auf ein Jahr mehr oder weniger nicht an – einige Monate nur, sagen sie , vielleicht Wochen. Ich
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