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Bradbury, Ray - Halloween

Bradbury, Ray - Halloween

Titel: Bradbury, Ray - Halloween
Autoren: Halloween
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mit dünner Stimme: »Wir würden ja
gern, aber … wir müssen auf Pipkin warten.«
»Ja, Pipkin hat uns zu Ihrem Haus geschickt. Ohne
ihn können wir nicht gehen.«
Wie auf ein Stichwort hörten sie in diesem Augenblick einen Schrei.
»Hey, ich bin hier!« rief eine schwache Stimme.
Sie sahen eine kleine Gestalt mit einem erleuchteten
Kürbis auf der anderen Seite der Schlucht stehen.
»Hierher!« schrien alle. »Pipkin! Beeil dich!«
»Schon unterwegs!« kam die Antwort. »Mir geht’s
nicht so gut. Aber ich mußte einfach kommen. Wartet auf mich!«
6

S
ie sahen die kleine Gestalt den Weg in die
Schlucht hinunterlaufen.
    »Wartet doch auf mich, bitte wartet doch …« Die
Stimme versagte. »Mir geht’s nicht gut. Ich kann
nicht rennen. Ich kann nicht … kann nicht …«
    »Pipkin!« riefen alle und winkten ihm vom Rand
der Schlucht.
Er war so klein, so klein. Überall bewegten sich
Schatten. Fledermäuse flatterten vorbei. Eulen
schrien. Nachtraben sammelten sich auf den Bäumen
wie schwarze Blätter.
Der kleine Junge mit seiner Kürbislaterne fiel zu
Boden.
»Oh«, keuchte Downground.
Das Licht im Kürbis erlosch.
»Oh«, keuchten alle.
»Mach das Licht wieder an, Pip, mach es wieder
an!« schrie Tom.
Er glaubte erkennen zu können, wie die kleine Gestalt im dunklen Gras dort unten umherkroch und
versuchte, ein Streichholz anzuzünden. Doch in diesem Augenblick der Dunkelheit brach die Nacht herein. Eine große Schwinge legte sich über die
Schlucht. Viele Eulen schrien. Viele Mäuse trippelten raschelnd in den Schatten. Irgendwo wurden Millionen kleiner Wesen umgebracht.
»Mach deine Laterne an, Pip!«
»Hilfe …« rief er klagend, mit trauriger Stimme.
Tausend Flügel flogen davon. Irgendwo schlug ein
großes Tier die Luft wie eine donnernde Trommel.
Die Wolken wurden beiseite gezogen wie dünne
Vorhänge und gaben den Blick auf einen klaren
Himmel frei. Dort stand wie ein großes Auge der
Mond.
Er sah hinab auf …
… einen leeren Pfad.
Pipkin war nirgends zu sehen.
Weit entfernt, fast schon am Horizont, zappelte
und tanzte und taumelte etwas Dunkles durch die
kalte Sternenluft davon.
»Hilfe … Hilfe …« klagte eine schwächer werdende Stimme.
Dann war alles still.
»O je«, sagte Mr. Downground traurig, »das ist
schlimm. Ich fürchte, etwas hat ihn mitgenommen.«
»Aber wohin, wohin denn nur?« riefen die Jungen
durcheinander. Ihnen war kalt.
»In das Unbekannte Land. In das Land, das ich
euch zeigen wollte. Aber jetzt …«
»Sie meinen, das Ding in der Schlucht – Es oder
Er oder was auch immer, dieses Etwas war … der
Tod? Er hat Pipkin geholt?«
»Er hat ihn wahrscheinlich bloß mitgenommen,
um ein Lösegeld zu erpressen«, sagte Downground.
»Das kann der Tod?«
»Manchmal, ja.«
»Mist!« Tom spürte, daß seine Augen sich mit
Tränen füllten. »Pip war heute abend so schwach und
blaß. Ach, Pip, du hättest nicht rauskommen sollen!«
rief er zum Himmel hinauf, doch dort waren nur Luft
und weiße Wolken, die wie alte Geisterfetzen dahinsegelten, und ein klarer Fluß aus Wind.
Frierend und zitternd standen sie da und sahen in
die Richtung, in der das dunkle Etwas, das ihren
Freund entführt hatte, verschwunden war.
»Aber«, sagte Downground, »das ist nur ein
Grund mehr mitzukommen, Jungs. Wenn wir schnell
fliegen, können wir Pipkin vielleicht noch einholen.
Seine süße Halloween-Zuckermais-Seele packen. Ihn
zurückbringen, ins Bett stecken, ihn mollig warm
zudecken und seine Kräfte schonen. Was meint ihr,
Jungs? Wollt ihr zwei Geheimnisse auf einmal erforschen? Euren verschwundenen Freund Pipkin suchen
und das Rätsel um Halloween lösen – alles auf einen
grimmigen, dunklen Streich?«
Sie dachten an die Halloween-Nacht und die unzähligen Seelen, die durch kalten Wind und seltsame
Rauchschwaden auf einsamen Straßen umherirrten.
Sie dachten an Pipkin, der ja bloß ein Fingerhutvoll kleiner Junge und reine Sommerlebensfreude
war und der wie ein Zahn herausgerissen und auf einer dunklen Welle aus Spinnweben und Horn und
schwarzem Ruß davongetragen worden war.
Und sie murmelten fast wie aus einem Munde: »Ja.«
Downground sprang auf. Er rannte. Er trieb sie an,
er schob sie, er sprudelte die Worte hervor. »Schnell
jetzt, diesen Weg entlang, diesen Hügel hinauf, diese
Straße hinunter! Da – die verlassene Farm! Über den
Zaun! Allez hopp!«
Sie sprangen in vollem Lauf über den Zaun und
blieben vor einer Scheune stehen, die über und über
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