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Bottini, Oliver - Louise Boni 01

Titel: Bottini, Oliver - Louise Boni 01
Autoren: Mord im Zeichen des Zen
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Calambert kennen gelernt. Hollerer war schon damals dick gewesen, doch wenn ihr Gedächtnis sie nicht trog, hatte er seitdem noch einmal zugenommen. Und er sah unordentlicher aus, fast ein wenig verwahrlost. Er war schlecht rasiert, die Uniformjacke fleckig. Auf seinem Bauch lagen Brotkrümel.
    «Warum bin ich hier?», fragte sie.
    «Es gibt Menschen, die haben einen sechsten Sinn für Gefahren», antwortete Hollerer. «Die sehen etwas oder jemanden, und dann klingelt eine Alarmglocke in ihrem Kopf, und sie spüren: Gefahr im Verzug. Die sehen jemanden wie den da» – er nickte in Richtung Mönch – «und spüren, dass da was nicht stimmt.»
    «Und so einer sind Sie.»
    «Nein. Aber der Ponzelt ist so einer. Unser Bürgermeister.»
    Louise lachte, und Hollerer fiel grimmig mit ein.
    Doch er wurde schnell wieder ernst.
    Für Ponzelt, erklärte er, stelle der Mönch mittlerweile den Antichrist dar, der einer Sippschaft von Teufeln den Weg nach Liebau ebne. «Deshalb sind Sie hier», sagte er. «Um Ponzelt zu beruhigen und dem Antichrist Angst zu machen. Aber irgendwie hat der Ponzelt auch Recht … irgendwas ist schon komisch.»
    Wieder nickte er in Richtung Mönch. «Er hat Angst.
    Und er ist verletzt.»
    Hollerer beschrieb die Wunden. Er gab zu, dass sie von einem Unfall stammen konnten. Wer wusste schon, wie lange der Mönch bereits im Freien unterwegs war. Vielleicht war er im Erleuchtungsdelirium gegen einen Baum gelaufen. Vielleicht hatten ihn ein paar Jugendliche verprügelt. «Trotzdem», sagte Hollerer.
    «Sie sind ja doch so einer», entgegnete Louise.
    Hollerer lachte. «Und Sie?»
    Sie zuckte die Achseln. Früher mal, dachte sie. Seit René Calambert war immer weniger Verlass auf ihre innere Stimme.
    Hollerer betrachtete die Brotkrümel auf seiner Brust. Er wischte sie nicht weg. «Also dann», sagte er und öffnete die Tür.
    Sie verspürte überhaupt keine Lust, in die Kälte hinauszugehen und dem Mönch hinterherzulaufen. Am liebsten wäre sie mit Hollerer nach Liebau zurückgefahren. Sie hätten sich in ein Lokal setzen, sich unterhalten können. Louise fand, sie hatten ein Recht darauf, sich Menschen wie Ponzelt und Bermann und deren Eigensinn wenigstens am Wochenende zu wi-dersetzen. Seufzend stieg sie aus.
    Am Fuß des Hügels stapften sie nebeneinander durch den Schnee. Sie sanken bis zu den Knöcheln ein. Hollerer begann nach zwanzig Metern laut zu schnaufen. Niksch war ein Stück weitergegangen und fotografierte den Mönch aus einer anderen Perspektive. Hollerer winkte ihn zu sich. «Jetzt ist’s gut», sagte er, «du kannst zurückfahren.»
    Louise spürte, dass Hollerer mit ihr allein sein wollte. Er hatte etwas auf dem Herzen. Sie ahnte, was es war.
    Sie sahen Niksch nach, während er zu seinem Wagen ging. Dann sagte Hollerer: «Ich hab von der Sache mit dem Franzosen gehört.»
    «So?»
    «Das war immer meine größte Angst. Dass ich mal zu spät komm.»
    «Dass Sie …‼ Louise brach ab. An das Mädchen hatte sie lange nicht gedacht. Sie hatte immer nur an Calambert gedacht, nicht an das tote Mädchen.
    Calambert hatte das Mädchen wie ein Stück Papier in der Mitte gefaltet, damit es in den Kofferraum seines Wagens passte. Annetta. Vergewaltigt, geschlagen, stranguliert. Trotzdem hatte sie noch vier Tage gelebt.
    An der Heckscheibe des Autos war ein Aufkleber angebracht gewesen – It’s a man’s world .
    Sie erinnerte sich nicht mehr daran, wie sie Annetta gefunden hatte. Dass sie den Kofferraum geöffnet, ihre Fesseln gelöst, den Notarzt gerufen hatte. So stand es in ihrem Bericht, also musste es so gewesen sein. Sie hatte alles vergessen, bis auf den Anblick des sterbenden Calambert.
    «Sie haben es sich scheint’s auch zu Herzen genommen», sagte Hollerer mit einem Blick über ihr Gesicht und ihren Körper.
    Sie errötete. Viereinhalb Kilo waren nicht zu verbergen. Schlafstörungen und alles andere auch nicht.
    Aber sie war Hollerer dankbar, dass er sie an das Mädchen erinnert hatte.
    Als Niksch in seinen Wagen stieg, gingen sie weiter. Louises Turnschuhe waren durchnässt, und die Kälte kroch ihr von den Füßen in die Beine. Sie trug einen Anorak, der gegen den eisigen Wind kaum Schutz bot. Auch Hollerer, der nur die Jacke seiner Polizeiuniform anhatte, fror sichtlich.
    Sie schob die rechte Hand in die Anoraktasche.
    «Hoppla», sagte sie, «was haben wir denn da?» Sie zog ein Fläschchen Jägermeister heraus.
    «Sie sind mir eine», brummte Hollerer.
    «Gegen die Kälte.»
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