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Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)

Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)

Titel: Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)
Autoren: Víctor Conde
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lautet wie folgt«, begann der Schüler selbstbewusster denn je. »Die bevorzugte künstlerische Disziplin Lord Byrons war die Poesie, mit der er weltweit große Berühmtheit erlangte. Er wird als einer der vielseitigsten Autoren der Romantik betrachtet, in dem Maße, dass sogar der Argentinier José Mármol jedes seiner Gedichte mit einem Leitspruch von Byron beginnen lässt.«
    Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da erhoben sich die Lehrer des Cospedal-Gymnasiums von ihren Plätzen und begannen laut, Hurra zu rufen. Die Eltern stimmten in den Applaus ein oder fielen sich gegenseitig um den Hals, und die ersten griffen nach ihren Handys, um Freunde und Bekannte zu informieren und mit ihren Kindern zu prahlen …
    Bis die zwanzigste Hand schließlich die Annulliertaste drückte.
    Verblüfftes Schweigen legte sich über den Saal.
    Alle Augen, auch die der Spionin, die vom Eingang aus alles beobachtete, ruhten auf dem merkwürdigen Mädchen im Hintergrund, dem Mädchen, das die meisten Fragen des Wettbewerbs beantwortet hatte, nur nicht eine so offensichtliche wie die letzte.
    Der pädagogische Leiter Velasco, der hinter den Kulissen auf den Nägeln kaute, pfiff auf seine Haarwurzelbehandlung und riss sich vor lauter Frust, Verwunderung und Groll ein ordentliches Büschel Haare aus. Zu dem Gefühl der Blamage gesellte sich jetzt noch der Hohn.
    Tanya ließ sich ein paar Sekunden Zeit mit ihrer Antwort. Ihre Mutter warf ihr manchmal vor, dass sie niederträchtig sei, weil sie sich auf Kosten anderer amüsierte und damit bewirkte, dass sich die Leute um sie herum schlecht fühlten … Aber selbst wenn es so war und sie es in den meisten Fällen hinterher auch bereute, so musste sie diesen Moment jetzt einfach voll und ganz auskosten.
    »Eine Schülerin des Verdemar-Gymnasiums hat die Antwort angefochten«, sagte die Stimme aus dem Lautsprecher. »Das Wort hat die Teilnehmerin mit der Nummer acht. Sollte ihr Einspruch nicht gerechtfertigt sein, werden ihrem Team zwei Punkte abgezogen.«
    Tanya stand auf und strich sich den Rock glatt. Sie konnte die Verachtung in den Gesichtern der Zuschauer lesen: Wer ist diese Rotzgöre, die etwas so Offensichtliches infrage stellen will wie die Tatsache, dass Lord Byron ein Dichter war?
    Sie nahm das Mikrofon, räusperte sich und sagte: »Die Frage bezieht sich weder auf einen Lord noch auf einen Romantiker, sondern auf den ›Serialisten‹ Byron. Dass Lord Byron einer der berühmtesten Dichter seiner Zeit war, ist natürlich richtig. Der Vorreiter in der Entwicklung des Serialismus aber war ein ganz anderer Byron, nämlich der Komponist Milton Byron Babbitt.« Bis dahin hatte Tanya mit dem Gesicht zum Publikum gesprochen, nun wandte sie sich an den Spielführer des Cospedal-Teams: »Bleibt also noch zu sagen, dass Byrons künstlerische Disziplin, die ihm zu Weltruhm verhalf, die Musik war, nicht die Poesie.«
    Der Bildschirm ließ die Teilnehmer noch ein wenig zappeln, denn er nahm sich mit der Punktevergabe mehr Zeit als nötig. Schließlich aber ging der Punkt auf das Konto des Verdemar-Gymnasiums.
    Diejenigen Zuschauer, die bislang geschwiegen hatten, brachen in Beifallsstürme aus, klatschten und weinten vor Freude, dass die Objektive ihrer Kameras ganz beschlagen waren. Tanya beehrte ihren Herausforderer, der in seinem Stuhl mutlos zusammengesunken war, mit einer Verbeugung aus dem achtzehnten Jahrhundert und versuchte dann zunächst ihre Eltern in der Menge zu entdecken (die ebenfalls aufgesprungen waren, aber noch immer vergeblich versuchten, ihre Digitalkamera zum Laufen zu bringen).
    Wo war überhaupt Velasco? Der pädagogische Leiter war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich war er in der ganzen Aufregung zusammengebrochen, und sie hatten ihn auf einer Bahre hinaustragen müssen.
    Auch Séfora war ziemlich aufgeregt, nicht wegen des überraschenden Ausgangs des Begabtenwettbewerbs, sondern wegen des Bildes, das ihr der Spiegel zeigte. Als sie die polierte Vorderseite dem Saal zuwandte, spiegelte sich in ihm nur ein einziges Gesicht: das jener extravaganten jungen Frau, die wie ein Vampirmädchen auf einem Friedhofspaziergang aussah.
    Das also war ihre Beute.
    »Die?«
    Séfora war sprachlos. Das Mädchen entsprach nicht im Entferntesten dem Bild, das sie von einer Auserwählten hatte. In ihrer Vorstellung handelte es sich um ein zurückhaltendes, bescheidenes Mädchen mit engelhaftem Gesicht und dem milden Blick derjenigen, die die Gebote des Herrn praktizieren.
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