Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bote ins Jenseits

Bote ins Jenseits

Titel: Bote ins Jenseits
Autoren: Hauke Lindemann
Vom Netzwerk:
und versuchten den Blick des jeweils anderen zu meiden.
    Nach einer Weile bekam Xaver ein schlechtes Gewissen, weil er Kamp so grob behandelt hatte. Es bestand kein Zweifel, dass dies sein erster Aufenthalt auf Erden und damit auch sein erster Tod war. Bei diesen Seelen war Verwirrung normal, genau wie der Versuch, den eigenen Tod zu leugnen. Schließlich hatte auch Xaver vor gar nicht allzu langer Zeit seinen eigenen ersten Todestag zu überstehen gehabt und wusste nur zu gut, dass er sich dabei nicht erwähnenswert geschickter angestellt hatte.
    »Hör mal, es tut mir leid. Ich weiß viele Dinge, die du noch nicht wissen kannst. Es ist nur, wenn man immer wieder das gleiche Gejammer zu hören bekommt, kann einem die Ewigkeit verdammt lang werden. Nimm es mir nicht übel. Wenn du noch Fragen hast, einfach raus damit. Wir sind ohnehin gleich da.«
    In Gedanken fügte er hinzu: »Zum Glück.«
    Kamp warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Woher dieser plötzliche Sinneswandel? Und was meinte er mit »Wir sind gleich da«?
    »Ich dachte, es dauert noch zwei Tage, bis wir da sind?«
    »Ja, das stimmt auch. Ich wollte es dir vorhin schon erklären – bevor du mir ins Wort gefallen bist. Es ist etwas kompliziert, und eine detaillierte Erklärung dürfte auch den zeitlichen Rahmen sprengen…«
    Die erwartete Reaktion blieb aus. Kamp hatte den Witz nicht verstanden.
    »… tja. Also, vereinfacht ausgedrückt, die Zeit in der Übergangsebene zwischen Erde und Jenseits unterliegt anderen Gesetzen. Zwei reale Tage kommen uns wie eine Stunde vor. Von dieser Gleichung aus kann dann entsprechend hoch- oder runtergerechnet werden. Wie lange eine Überfahrt dauert, ist letzten Endes nämlich variabel, von einer Minute bis hin zu zwölf Stunden ist alles möglich. Kommt aber eher selten vor, denn das wären immerhin vierundzwanzig Tage auf der Erde!«
    Eigentlich hätte Kamp verwirrt sein müssen, aber er glaubte zu verstehen, was der Mann ihm sagen wollte. Das war faszinierend, ähnlich wie mit der unbekannten Schrift auf der Tür. Er wollte dies gerade zur nächsten Frage formulieren, als ein Ton erklang.
    PING
    Es folgte das gleiche Geräusch, das Kamp beim Verschwinden der Tür gehört hatte. Er drehte sich um und fand vor, womit er gerechnet hatte. Die Tür war wieder da.
    »Wir sind angekommen. Endstation«, sagte Xaver mit einem Schuss zu viel Erleichterung.
    Er ging zur Tür und öffnete sie.
    »Noch mal, nichts für ungut. Vielleicht bist du ja mal wieder mein Gast.«
    Kamp sah von Xaver zur offenen Tür und wieder zurück.
    »Wo muss ich denn jetzt hin? Kommen Sie nicht mit?«
    Xaver schüttelte den Kopf. »Nein, mein Wirkungsbereich ist hier. Gehe einfach durch die Tür auf das große Gebäude zu. Es ist die Anmeldung. An der Säule mit dem Anfangsbuchstaben deines Nachnamens geht es weiter.«
    Kamp sah wieder zur offenen Tür und zögerte. »Darf ich Ihnen noch eine letzte Frage stellen?«
    Xaver seufzte. »Na klar, nur zu.«
    »Sind Sie ein Engel?«
    Jetzt lächelte der Bote wieder. Es war ein ehrliches Lächeln.
    »So etwas in der Art, ja. Aber wir nennen uns Boten. Man wird dich über all dies noch aufklären, mach dir keine Sorgen. Und jetzt… viel Glück und alles Gute in der Ewigkeit.«
    Kamp nickte Xaver zu und verließ den Fahrstuhl.

Die Anmeldung
     

     
     
     
    Die ersten Schritte im Jenseits tat Kamp mit besonderer Vorsicht, nicht etwa weil er Angst hatte, sondern weil ihn ein dichter, weißer Nebel umgab, der alles verschluckte, was es möglicherweise um ihn herum zu sehen gab. Er wusste weder, wo er sich befand, noch in welche Richtung er gehen musste, und ging daher stumpf geradeaus. Mit jedem seiner Schritte lichtete sich der Nebel jedoch ein wenig, und nach und nach zeichneten sich in dem Nebelschleier erste Konturen ab.
    Er hatte verstanden und ging jetzt etwas schneller, um die getrübte Sicht komplett hinter sich zu lassen. Einige Schritte später blieb er mit offenem Mund staunend stehen. »Das große Gebäude«, hatte der Mann gesagt. Diese Beschreibung gehörte in jedes Lexikon als Erläuterung zum Wort »Untertreibung«.
    Als Kamp noch auf Erden wandelte, hatte er einmal eine Studienreise in die USA unternommen. Er wusste noch, wie beeindruckt er damals von der Größe der monumentalen Shopping-Mall war, in der er zusammen mit einem Kommilitonen einen ganzen Tag verbrachte… wohlgemerkt ohne alles gesehen zu haben. Der Kasten hatte das Zeug, eine ganze Kleinstadt in sich aufzunehmen.
    Gegen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher