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Bonbontag

Bonbontag

Titel: Bonbontag
Autoren: Markus Nummi
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Mädchens würde sie nie anrühren.
    Paula kehrte ins Wohnzimmer zurück, riss die Verpackung auf, setzte sich hin. Sie brach sich ein Stück von der Schokolade ab, ein ganz kleines Stück. Und dann, natürlich, typisch, so verdammt typisch, lösten sich an der Bruchstelle zwei kleine Krümel. Wohin fielen sie? Natürlich auf den weißen Wollteppich, den sie wegen ihrer ewig kalten Füße vor den Sessel gelegt hatte.
    Am liebsten hätte sie den Staubsauger geholt. Um es der ganzen Welt zu zeigen, hätte sie am liebsten den supereffektiven, mit Spezialfiltern ausgestatteten Staubsauger, den sie sich selbst zu Weihnachten geschenkt hatte, geholtund losgelegt. Sie schmunzelte darüber. Sie war ein erwachsener Mensch.
    Sie beugte sich vor und versuchte vorsichtig die Schokoladenkrümel aufzupicken. Einen erwischte sie, aber der andere rutschte immer tiefer ins Gewebe.
    Ihre Geduld verlor Paula deswegen nicht, dazu bestand kein Anlass.
    Sie faltete den Teppich zusammen, vorsichtig, damit er keinen Staub aufwirbelte. Dann trug sie ihn in den Flur, schlüpfte in die Stiefel, zog sich die Strickjacke über und steckte die Schlüssel ein. Sie öffnete die Wohnungstür, stieg im Dunkeln die Treppe zum Zwischengeschoss hinauf und trat auf den Lüftungsbalkon.
    Dort war der Boden rutschig. Sie hielt den Teppich über das Geländer und schüttelte ihn aus. Die Kälte war erfrischend.
    Tschüs, Schokoladenkrümel, gute Reise!
    Paula konnte den Krümel sehen, er rotierte in der Luft, schwebte der Erde entgegen, wurde dann aber von einem Luftstrom ergriffen und eine halbe Etage tiefer gegen das Fenster geschleudert. Der Krümel landete auf dem Fensterblech, auf der dünnen Schneeschicht vor der geschlossenen Jalousie, vor dem Fenster des Mädchens.
    Einen Moment lang ärgerte sich Paula darüber. Hätte sie einen Besen mit langem Stiel, könnte sie die Stelle erreichen. Tatsächlich stand in einer Ecke des Balkons ein Besen. Er hatte seine besten Tage schon hinter sich, der Hausmeister hatte damit den Schnee gefegt und ihn anschließend einfach stehen lassen. Mit Gemeinschaftseigentum ging man um, wie es einem gerade passte.
    Paula griff nach dem Besen, hielt aber inne, stellte sich das Geräusch am Fenster vor. Das Mädchen würde erschrecken. Wollte sie denn ihr Kind aufwecken?
    Plötzlich musste sie lachen. Bin ich ein erwachsener Mensch? Denke ich noch rational? Ja, ich versuche es wenigstens. Ein erwachsener Mensch ist einer, der sein Verhalten korrigieren kann. Und darum geht es bei dem ganzen Projekt schließlich.
    Kein Grund zur Sorge. Soll er bleiben, wo er ist. Bald wird es Frühling und der Schnee schmilzt. Dann verschwindet auch der Krümel.
    Paula stellte den Besen an seinen Platz zurück.
    Sie genoss den kleinen Kälteschauer auf der Haut. Kein einziges Licht auf dieser Seite. Es war fünf Uhr, und hier war alles gut. Alles war im Eimer, aber gut.
    Paula kehrte in die Wohnung zurück. Sie legte den Teppich wieder vor den Sessel und setzte sich. Der Teppich fühlte sich für eine Weile kalt unter den Füßen an.
    Sie streckte sich nach der Kamera, drückte die Aufnahmetaste und setzte sich im Sessel zurecht. Dann begann sie, so wie jeden Morgen.
    » Ich heiße Paula Vaara. Heute ist der erste Tag des Lebens, das noch vor mir liegt.«
2
    Tomi schlug die Augen auf. Er schaltete die Taschenlampe unter der Bettdecke an und sah auf die Uhr. Fünf.
    Zuletzt war es halb vier gewesen.
    Er hob die Decke an und spähte nach draußen. Die Jalousien drüben waren noch immer unten.
    Er könnte noch weiterschlafen. Aber wäre er dann rechtzeitig wach?
    Ihm war kalt. Die Wohnzimmercouch stand unmittelbarvor dem großen Fenster, und durch dessen Ritzen zog es. Tomi überlegte, ob er die Wolldecke von Omas Bett holen sollte. Nein, man durfte seinen Wachposten nicht verlassen.
    Heute musste er rechtzeitig da sein. Bevor sie wegging.
    Tomi zählte nach: Vor drei Tagen hatte er das Mädchen zuletzt gesehen. Am kleinen Fenster, sie hatte gewunken, tschüs. Seitdem war sie verschwunden.
    Wieder zog er sich die Decke über den Kopf. Die Dunkelheit hatte die Ausmaße der Zudecke, es war die eigene Dunkelheit, kein Grund, Angst zu haben.
    Er wartete. Die Augen fielen ihm zu ... Dann ein Schreck, ein Blick nach draußen.
    Die Jalousien oben. Licht im Fenster. Ein schwacher Lichtschein im Treppenhaus, der bald wieder verschwand.
    Jetzt war Tomi hellwach.
     
    Alarm, Alarm.
    Wachturm eins.
    Yes, Sir. Doc zur Stelle.
    Check. Action Patrouille
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